Im Jahre Ragnarök
auf Vollmachten, die er gar nicht besaß, und unter Aufbietung all seiner Überredungskunst war es Tubber gelungen, eines der wenigen verfügbaren Autos aus dem Fuhrpark der Kasseler Garnison zu erhalten. Allerdings wusste Tubber nicht recht, was er von dem obskuren Gefährt halten sollte, das auf dem Garagenhof für ihn bereitstand. Misstrauisch beäugte er das rundrückige Fahrzeug, das für ihn ganz so aussah, als hätte man einen riesengroßen Mistkäfer auf vier Räder gestellt und mit olivgrüner Farbe überzogen. Zudem schien es seine besten Tage bereits weit hinter sich gelassen zu haben, wie eine Unzahl von Dellen und Roststellen erahnen ließ. Auf das bucklige Dach war ein Gestell aus Stahlrohr montiert, auf dem nicht nur zwei Reserveräder und sechs gefüllte Benzinkanister festgezurrt waren, sondern auch eine kleine Proviantkiste sowie ein Behälter mit Trinkwasser. Selbst ein Klappspaten fehlte nicht.
Tubber fühlte sich an die Ausrüstung der Geländewagen erinnert, mit denen er vor Jahren im Auftrag des Joint Intelligence Service auf steinigen Pisten des Vorderen Orients abgelegene Einöden fernab jeder Zivilisation durchquert hatte. Und er fragte sich, ob es nicht ein mindestens ebenso großes Wagnis darstellte, mit diesem wenig vertrauenerweckenden Auto auf den heruntergekommenen deutschen Straßen Hunderte von Meilen zurücklegen zu wollen. Doch es gab keine Alternative.
Die Eisenbahn hatte ausgerechnet am Tag zuvor wegen Kohlemangels den Betrieb für mindestens zwei Wochen eingestellt.
Er ging einmal um das Fahrzeug herum und betrachtete es von allen Seiten. Aus keinem Blickwinkel machte es einen auch nur halbwegs zuverlässigen Eindruck.
Dann fragte er Dünnbrot, der neben der geöffneten Fahrertür stand und die Straßenkarte studierte: »Was, zum Teufel, ist das für ein Auto?«
Der Polizist faltete die Karte zusammen und warf sie auf den Rücksitz. »Das nannte sich früher einmal KdF-Wagen oder auch Volkswagen, suchen Sie sich's aus. Bis '51 wurden noch jährlich 200 Stück in den Werken bei Fallersleben montiert, für die britischen Besatzungstruppen.«
»Und dann?«
»Wurde die Fabrik gesprengt, was denn sonst? Zweiter Morgenthau-Plan, Sie wissen schon.«
»Na herrlich«, schnaubte Tubber abfällig. »Dann ist diese Karre ja mindestens elf Jahre alt und wohl eine der Letzten ihrer Art. Hält die denn die lange Strecke überhaupt durch?«
Dünnbrot reagierte mit einem Schulterzucken und setzte erst dann hinzu: »Diese Wagen laufen und laufen, wenn sie nur gut gewartet werden. Zu schnell sollte man auf den kaputten Straßen natürlich besser nicht fahren. Aber wir haben es ja nicht eilig, General Patton läuft uns schließlich nicht davon.«
»Doch, genau das tut er«, korrigierte ihn Tubber. »Ich habe ein paar Telefongespräche geführt und erfahren, dass der General morgen Abend für vier Monate in die USA zurückkehrt, um Vorträge zu halten. Ich kann nicht warten, bis er wieder hier ist. Daher muss ich schnellstens nach Potsdam gelangen.«
Dass er zudem vergeblich versucht hatte, Sir Hugh Holborne zu erreichen, um einen ersten Zwischenbericht zu erstatten und sich vorsichtshalber des Einverständnisses für sein weiteres Vorgehen zu versichern, erwähnte Tubber nicht, da es den Deutschen nicht zu interessieren hatte. Sir Hugh befand sich, wie ihm seine Sekretärin mitgeteilt hatte, für einige Tage zur Jagd bei einem Angehörigen des Königshauses in Schottland und wünschte nicht gestört zu werden. Mit subalternen Stellvertretern wollte Tubber seine Erkenntnisse aber nicht teilen. Spätestens mit der Spur zu General Patton, dem legendären Heerführer und Oberbefehlshaber der amerikanischen Besatzungstruppen in Deutschland, hatte der ursprünglich unwichtige Auftrag zu viel Bedeutung erlangt, um die Ergebnisse leichtfertig unteren Chargen anzuvertrauen, die ohnehin keine Entscheidungen fällen konnten. Also hatte Tubber sich entschlossen, vorerst auf eigene Faust vorzugehen und Sir Hugh bei erster Gelegenheit von Berlin aus ins Bild zu setzen. »Bis morgen Abend? Das könnte knapp werden«, gab Dünnbrot zu bedenken.
»Wir müssen gleich hinter Kassel auf einen Umweg ausweichen, weil die Uferstraße im Fuldatal vom Hochwasser fortgerissen wurde. Aber wenn wir erst mal Braunschweig erreicht haben, geht es etwas schneller, von dort bis Berlin gibt es eine befahrbare Autobahn.«
»Sehr gut. Hauptsache, wir erreichen Potsdam, bevor Patton fort ist. Vergeuden wir keine Zeit!«
Tubber setzte
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