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Im Jahre Ragnarök

Titel: Im Jahre Ragnarök Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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versuchte, sich jede Einzelheit des Geländes und der Sicherungsmaßnahmen einzuprägen. Jedes noch so unbedeutend scheinende Detail mochte sich später als unschätzbar wertvoll für die Planung der Flucht erweisen. Und fliehen musste er.
Der Jeep passierte eine Wiese, an deren Rand einige Soldaten gerade ein kleines Flugzeug mit hochbeinigem Fahrgestell startklar machten. Die zierliche Maschine trug keinerlei Markierungen; ihre Unterseite war in einem matten Blaugrau lackiert, die obere Hälfte wies ein grünbraunes Tarnmuster auf. Ganz gewiss war Tubber sich nicht, doch er glaubte, dass es sich um einen Fieseler Storch handelte, den legendären Aufklärer der deutschen Luftwaffe, der mit einer Startbahn von weniger als fünfzig Yards auskam.
Noch während Tubber darüber nachdachte, welchem Zweck dieses Flugzeug wohl diente, hatte der Jeep die Wiese schon hinter sich gelassen und durchfuhr nunmehr den Wald, der sich unterhalb des Berges erstreckte. Zwischen den Baumkronen waren Tarnnetze gespannt; sie entzogen die langen Reihen weißer Lastwagen, die zu beiden Seiten der Straße standen, den Blicken zufälliger Beobachter aus der Luft. Die vor Kurzem eingetroffenen Männer hielten sich bei den Fahrzeugen auf und empfingen gerade Verpflegung aus Feldküchen.
Tubber ließ den Blick unauffällig über die Szenerie schweifen. Nirgendwo sah er Zelte, nichts deutete darauf hin, dass die Soldaten Befehl hatten, Unterkünfte zu beziehen.
Sie sollen nicht lange hierbleiben , schlussfolgerte Tubber. Keine Schlafplätze ... wohl noch vor Einbruch der Nacht werden sie wieder abrücken. Aber wohin? Und warum? Er fand keine Antwort. Und es fiel ihm zudem schwer, seine Gedanken zusammenzuhalten.
Je näher er dem Königstein kam, desto schlechter fühlte er sich. Ein Schwall von Schmerzen nach dem anderen brandete gegen sein Hirn an, als wollten sie seinen Verstand langsam zertrümmern. Und nun kamen auch noch Wellen von Übelkeit hinzu, die mit der Tide der Schmerzen einhergingen. Er versuchte sich zu zwingen, seine Umgebung trotzdem aufmerksam zu beobachten. Wenn es auch sonst vielleicht zu nichts nütze war, hielt es ihn wenigstens davon ab, sich zu sehr mit den Qualen zu beschäftigen, die ihn heimsuchten.

Die Straße führte aus dem Waldstück heraus und wand sich bergan auf die düster emporragende Zitadelle zu. Auf den letzten fünfzig Metern wurde sie zu beiden Seiten von Flaggenmasten gesäumt, von denen lange Banner, im Wechsel blutrot mit dem Hakenkreuz und totenschwarz mit den SS-Runen, träge hinabhingen, das Flaggentuch durchnässt und schwer vom Nieselregen.
Der Weg endete stumpf am Fuße der mächtigen Mauern. Aus diesem Blickwinkel wirkten die wuchtigen Basaltmauern der Festung, die geradewegs aus dem Felsen des Berges emporzuwachsen schienen, noch bedrohlicher, wie ein steingewordenes Versprechen von Macht und Unüberwindlichkeit.
Die Maschinenpistole im Rücken, mussten Tubber und Dünnbrot den Jeep verlassen und dem SS-Offizier über eine Zugbrücke folgen, die über einen Festungsgraben führte. Hinter der Brücke verlief der Weg im Bogen zwischen den äußeren Bastionen und den Hauptwerken bis zu einem von Doppelposten gesicherten Tor.
Den Schlussstein des Torbogens bildete ein Medusenkopf mit vorquellenden Augen, herausgestreckter Zunge und einem zum Schrei aufgerissenen Mund, dessen verzerrtes Antlitz ein Knäuel sich windender Schlangen umgab. Und darüber breitete ein überlebensgroßer Adler, der eindeutig weitaus jünger war, die Schwingen aus. Mit den Fängen umkrallte er ein von Eichenlaub umkränztes goldenes Hakenkreuz.
Hinter dem Tor ragte ein weit nach den Seiten ausgreifender, vielfenstriger Bau massig in den Himmel, einem gewaltigen versteinerten Schlachtschiff aus ferner Vorzeit gleich, das vor Menschengedenken auf diesem Gipfel gestrandet war. Seine schmucklos graue Fassade beherrschte finster den Zugang zur Festung. Durch sein Sockelgeschoss führte ein dunkler, tunnelartiger Torweg mit einer steil ansteigenden Rampe in das Innere der Zitadelle. Doch dorthin gelangten Tubber und Dünnbrot nicht. Der SS-Major brachte sie in den nördlichen Seitenflügel des Bauwerks und führte sie in einen kleinen Raum, in den nur wenig Licht durch ein vergittertes Fenster drang.
»Sie werden nicht lange warten müssen«, versicherte er seinen Gefangenen.
Dann ging er und zog die schwere Eisentür hinter sich zu. Mit einem hohlen Klirren wurde der Riegel vorgeschoben.

Tubber setzte sich auf eine der beiden

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