Im Jahre Ragnarök
Zeit erlaubt.«
Himmler überlegte und stimmte dann zu. »Sie haben recht, Professor Köhler.
Übernehmen Sie das. Niemand könnte dafür besser geeignet sein. Ich erwarte Sie alle in einer halben Stunde im Runensaal.«
»Jawohl, Reichsführer!« Köhler legte das Klemmbrett beiseite und trat hinter dem Schreibtisch hervor. »Sperber, Sie begleiten uns. Meine Herren, folgen Sie mir.«
Die vier Männer traten aus dem Gebäude ins Freie. Nun erst konnte Tubber die Größe der alten Zitadelle wirklich ermessen. Vor ihm breitete sich das Plateau aus, das von den Festungswällen umschlossen wurde und das rein gar nichts von der zusammengedrängten Enge mittelalterlicher Burgen hatte. Auf einer weiten, an vielen Stellen mit Bäumen bestandenen Fläche waren Gebäude gruppiert, sodass beinahe der Eindruck eines malerisch gelegenen Städtchens entstand. Doch nur beinahe, denn die seltsam ungreifbare Strenge, die allen militärischen Anlagen zu Eigen ist, war auch hier fühlbar.
Auf den ersten Blick fielen Tubber aus Holz und bemalter Leinwand gezimmerte Attrappen verfallener Bauten auf, die an manchen Stellen zwischen den wirklichen Häusern standen. Aus der Nähe betrachtet waren sie alles andere als überzeugend, doch einem Beobachter, der das Gelände vom Flugzeug oder Hubschrauber aus sah, konnten sie fraglos vorgaukeln, dass der Königstein seit Jahrzehnten verlassen sei.
Demselben Zweck dienten eindeutig auch die vielen Tarnnetze, die alles verbargen, was auf die Anwesenheit von Menschen auf dem Berg hätte hindeuten können. »Wenn Sie Fragen haben, meine Herren – nur zu. Ich erkläre Ihnen mit größtem Vergnügen fast alles, was Sie wissen möchten«, bot Köhler, der einen Schritt vorausging, gönnerhaft an.
»Ein beliebtes Motiv in schlechten Kriminalromanen«, mokierte Dünnbrot sich.
»Der geschwätzige Schurke, der dem in seiner Gewalt befindlichen Helden seine gesamten Pläne offenbart.«
Sperber, der neben dem Engländer und dem Kommissar ging und die Hand keine Sekunde von der Pistole an seinem Koppel ließ, lachte amüsiert. »Ein origineller Vergleich, aber unzutreffend. Erstens, weil in solchen Romanen der Held immer entkommen kann, da sein Gegenspieler aus Überheblichkeit unvorsichtig wird.
Diesen Gefallen werden wir Ihnen aber nicht tun. Und zweitens, weil wir nicht die Schurken sind, wie vielleicht selbst Sie noch einsehen werden.«
»Was ist das überhaupt für ein Ort?«, unterbrach ihn Tubber ungeduldig. »Und weshalb ist Himmler hier?«
»Der Reichsführer hält sich bereits seit 1945 hier auf«, antwortete der Professor.
»Ihm war bald nach Stalins Tod klar geworden, dass unsere militärische Niederlage dadurch nur um einige Wochen hinausgezögert wurde. Also zog er sich mit einer Schar ausgewählter SS-Kämpfer hierher zurück, um von diesem Stützpunkt aus später den Partisanenkrieg gegen die Besatzer aufzunehmen. Der Führer gab seine Einwilligung, blieb selber aber trotz aller Bitten in Berlin.«
Tubber nickte. Die Fragmente dessen, was er bereits wusste und was er vermutet hatte, begannen sich Stück um Stück zu einem Bild zusammenzufügen. »Und damit sich nie ein alliierter Soldat in dieses Gebiet wagte, ließ Himmler noch vor Kriegsende verbreiten, dass die Milzbrand-Vorräte hier eingelagert wurden. Richtig?«
»Absolut richtig, Leutnant«, bestätigte Köhler. »Eine kleine Menge Anthraxsporen besaßen wir tatsächlich. Den allerletzten Rest davon hätte man übrigens vorhin um ein Haar Ihnen injiziert, kombiniert mit einem schnell wirkenden, kaum nachweisbaren Nervengift. So haben wir es mit allen gemacht, die unvorsichtigerweise in das Sperrgebiet eingedrungen waren.«
Mit einer knappen Bewegung zur Seite wich Dünnbrot einer Pfütze aus und bemerkte eisig: »Ein weiterer typischer Fehler der Bösewichter – den Gegner nicht einfach umzubringen, wenn sie ihn erst einmal erwischt haben.«
Ohne auf Dünnbrots Einwurf einzugehen, hakte Tubber nach: »Aus dem Partisanenkrieg scheint ja nicht viel geworden zu sein.«
»Leider nicht«, meinte Sperber voller Bedauern. »Es stellte sich bald als unmöglich heraus, einen Volkskampf zu entfachen. Doch glücklicherweise ...«
Köhler fiel dem SS-Major ins Wort: »Es war auch gar nicht mehr notwendig, da ich dem Reichsführer eine brillante Alternative in Aussicht stellen konnte, die seine kühnsten Vorstellungen übertraf. Aber dazu kommen wir noch, haben Sie ein wenig Geduld.«
Weil er spürte, dass er dem Professor zu diesem Zeitpunkt
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