Im Jahre Ragnarök
überwunden hatte und gerade den Mund zu einem neuen Satz öffnen wollte, wurde draußen der Riegel zurückgeschoben und die Zellentür öffnete sich. Der SS-Major kam herein, ein Erfolg verkündendes kühles Lächeln auf den Lippen.
»Sie dürfen sich glücklich schätzen«, eröffnete er seinen Gefangenen. »Der Reichsführer will Sie sehen.«
Dünnbrot und Tubber folgten dem Sturmbannführer durch die langen Gänge. Keine zusätzliche Wache begleitete sie, und Tubber wusste, dass er den Offizier schnell und problemlos überwältigen könnte, wenn er wollte. Doch das wäre eine sehr schlechte Idee. Überall um sie herum wimmelte es von umhereilenden SS-Männern.
Inmitten so vieler Gegner war jeder Fluchtversuch schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt.
Also verhielt Tubber sich ruhig und hoffte auf bessere Umstände.
Die rastlose Aktivität der SS-Soldaten gab Tubber zu denken. Wie die Offiziere, die er in Pirna belauschen konnte, hatten die Männer offenbar Befehle erhalten, sich auf einen Einsatz vorzubereiten, ohne dass sie wussten, was genau bevorstand.
Spannung und ungeduldige Erwartung lagen geradezu fühlbar in der Luft.
Durch Korridore und über steile Steintreppen brachte der Major Tubber und Dünnbrot schließlich zu einer Tür, die von Posten in schwarzen Uniformen mit weißem Lederzeug und polierten Stahlhelmen flankiert wurde. Als der Sturmbannführer herannahte, kam Leben in die zuvor wie versteinert dastehenden Wachen.
Mit präzise synchronisierten Bewegungen öffneten sie die beiden Türflügel.
»Treten Sie ein«, forderte der Offizier überflüssigerweise seine Gefangenen auf.
Sie betraten einen großen Raum mit schmucklos weißen Wänden. Zu beiden Seiten standen je zwei mannshohe eckige Granitsäulen, in die spitze germanische Runen eingemeißelt waren und die von flachen Schalen gekrönt wurden, in denen kleine Feuer loderten und einen unstet zuckenden Schein auf die verputzten Mauern warfen. An der Wand am entfernten Ende des Raumes prangte zwischen einer blutroten Hakenkreuzfahne und einem nachtschwarzen SS-Banner ein großer, grimmig blickender Adler aus blankem Metall, als wachte er über den darunter stehenden Schreibtisch, der sich mit seinen heiter verästelten elfenbeinfarbenen und vergoldeten Rokoko-Schnitzereien wie ein absurder Fremdkörper inmitten einer Umgebung brutaler Kantigkeit ausnahm.
Hinter dem Tisch saß Heinrich Himmler. Tubber erkannte ihn sofort, mochte er auch gealtert sein. Der einstige Befehlshaber der SS war gekleidet in eine schwarze Uniform, die außer den silbernen Kragenspiegeln und der Hakenkreuzarmbinde keinerlei Abzeichen trug. Aus dem Hemdkragen ragte ein faltiger Hals, auf dem ein nahezu kahler Kopf saß. Zwischen der spitzen Nase und der Oberlippe wuchs ein dünnes graues Bärtchen, das die erschreckende Banalität des gesamten Gesichts hervorhob. Kleine, kalte Augen blinzelten hinter einem Paar dicker Brillengläser.
Tubber war, als wollten die stechenden Blicke, mit denen der Deutsche die eben Eingetretenen betrachtete, in sein Innerstes vordringen. Himmler war nicht allein. Neben ihm stand, ein Klemmbrett in der Hand, ein erheblich jüngerer, gerade mittelgroßer Mann, den Tubber auf allerhöchstens vierzig Jahre schätzte und der über seiner Uniform einen weißen Laborkittel trug. Sein gleichförmiges Allerweltsgesicht wies keinerlei bemerkenswerte Züge auf, und dennoch hatte es etwas an sich, das Tubber zutiefst beunruhigte.
Himmler blickte von etwas auf, das wie eine Landkarte aussah, die Tubber jedoch so schnell nicht einzuordnen vermochte. »Nun, Sperber«, sagte er bedächtig und legte die altersfleckigen Hände an den Fingerspitzen zusammen, »das sind also die beiden Männer, die uns von Nutzen sein könnten?«
»Jawohl, Reichsführer«, bestätigte der Sturmbannführer. »Leutnant John Tubber vom britischen Geheimdienst und Kommissar Günter Dünnbrot vom OD Hamburg.«
Nachdem er die beiden Gefangenen kurz betrachtet hatte, nickte Himmler. »Gut.
Sehr gut. Wir werden sie an der bevorstehenden Besprechung teilnehmen lassen, damit sie im Bild sind, worum es geht. Danach stellen wir sie vor die Entscheidung.
Zusammenarbeit dieser Art soll man nicht erzwingen wollen.«
»Wenn ich mir einen Vorschlag erlauben darf, Reichsführer?«, meldete sich der Mann im Kittel zu Wort. »Was diese Männer bei der Besprechung erfahren, würde sie möglicherweise überfordern. Wir sollten sie zunächst behutsam mit den Grundlagen vertraut machen, sofern es die
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