Im Jenseits ist die Hölle los
die Kränze und Blumen auf dem Hügel arrangiert worden waren, wur den Fotos gemacht. Ein Fotograf, den ich gut kannte, lief mit der Kamera herum, bat meine Witwe und die übrigen nahen Verwandten, sich in einer Reihe hinter dem Blumenhügel aufzustellen. Brav befolgten die Trau ergäste seine Wünsche, auch der Pastor wurde hinzuge beten. Er schielte verlegen zum Friedhofszaun, als der Auslöser klickte, und verdrückte sich dann stillschwei gend. Als der Fotograf fertig war, zerstreute sich die Trauergemeinde langsam.
Die Schwester meiner Witwe ging herum und flüsterte den Gästen zu, dass in einer Stunde in der nahen Gast stätte eine Gedenkfeier stattfinden werde.
»Meine Schwester lädt Sie herzlich dazu ein«, murmel te sie.
Ich hatte keine Lust hinzugehen und sagte mir, dass ich so eine bessere Erinnerung an mich zurückbehalten würde, denn die Andacht in der Kapelle war recht zu frieden stellend gewesen. Auf einer solchen Gedenkfeier wurden in der Regel stammelnde Reden gehalten, bevor es Kaffee und Kuchen gab. Und ein Teil der Trauergäste würde sicher gar nicht erst kommen. Mir reichte es erst mal, entschied ich.
Ich betrachtete gerührt den schönen, blumenge schmückten Hügel, unter den man mich soeben gebettet hatte. Für eine Weile verspürte ich Wehmut: Noch vor ein paar Tagen war ich springlebendig, war ich gesund und stark gewesen, und jetzt war ich tot und begraben, der Verwesung anheim gegeben. So schnell war es mit dem Menschen zu Ende, dachte ich fast mit Tränen in den Augen.
Andererseits war es verdammt gut, dass alles endgül tig vorbei war. Auf einen Schlag war ich alle meine Prob leme los. Bei dem Gedanken, dass ich mich nicht mehr frühmorgens zur Arbeit schleppen musste, verspürte ich außerordentliche Genugtuung. Sollten doch meine Kollegen zusehen, wie sie die Seiten zusammenbastel ten, mich interessierte das alles nicht mehr.
Ich hatte keine Geldsorgen und keine Eheprobleme mehr, verspürte weder Hunger noch Durst, nicht einmal Sodbrennen. Ich musste mir nie mehr die Mühe ma chen, die Zähne zu putzen, meine Nägel wuchsen nicht mehr, zum Frisör brauchte ich auch nicht zu gehen, ich würde kein Klopapier mehr verbrauchen, nicht mehr in der Nase bohren. Jetzt war es mir egal, ob es regnete oder ob die Sonne schien, ich hatte keine Angst mehr vor Krebs oder vor einem Weltkrieg.
Es kam mir vor wie ein endloser Urlaub mit freier Fahrt, wohin ich nur wollte. Man konnte sagen, dass der Tod für einen von der Arbeit ausgelaugten Menschen eine angenehme Erfahrung war. Die Schinderei hatte ein Ende! Von jetzt an konnte ich nach Herzenslust faulen zen, ohne dass ich ein schlechtes Gewissen haben musste oder dass mich jemand dafür tadelte.
In dem Moment erregte ein alter, sanft aussehender Mann, der plötzlich auf dem einsamen Friedhof aufge taucht war, meine Aufmerksamkeit. Er war in einen Talar gekleidet und von einer Aura unaufdringlicher Frömmigkeit umgeben. Das weiße Haar und das schim mernde Beffchen harmonierten wunderbar mit dem dunklen Gewand. Allem Anschein nach war er ein Propst. Er war klein, gedrungen und wirkte robust, doch auf seinem Gesicht lag ein verständnisvolles, tröstliches Lächeln. Der Alte stützte sich auf seinen Stock, muster-te mein zugeschaufeltes Grab und anschließend mich. Wenn dieser Mann tatsächlich ein Propst war, so war es verdammt bedauerlich, dass nicht er bei meiner Beerdi gung gepredigt hatte. Schon auf Grund seiner äußeren Erscheinung strahlte er weit mehr kirchliche Autorität und Würde aus als der junge Spund, der mich vorhin ausgesegnet und mich auf die große Reise geschickt hatte.
Nur dass dieser sonderbare Kirchenmann mich ansah, was natürlich bedeutete, dass er kein Lebender, sondern ein Toter, also meinesgleichen war.
Der Mann trat zu mir und sagte mit leiser, angeneh mer Stimme:
»Verzeihung… ich störe hoffentlich nicht? Sind Sie eventuell die Person, die soeben hier begraben wurde?«
Ich bejahte.
»Ich bin Propst Hinnermäki, guten Tag. Ich begrüße Sie hier… wie soll ich es nennen… auf dieser Seite. Fühlen Sie sich wie zu Hause, es wird schon alles wer den.«
Ich dankte dem Propst für die Wünsche und fragte ihn, was ihn auf den Friedhof geführt hatte, worauf er erzählte, dass er der Trauerfeier und dem Begräbnis von Anfang an beigewohnt hatte. Er erklärte, dass ihn Beer digungen generell interessierten, was wohl von seiner frühren Arbeit herrührte.
»Diese
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