Im Jenseits ist die Hölle los
mögliche andere beschimpft, ich möchte das hier gar nicht wiedergeben. Aber man muss den Menschen vergeben. Schon Jesus sagte seinerzeit… Entschuldigen Sie, darauf wollte ich gar nicht hinaus, es ist nur eine alte Gewohnheit.«
»Ich habe nichts dagegen, wenn wir über diese Dinge sprechen«, entgegnete ich. »Soll das heißen, dass die Religion hier keinen Platz mehr hat, dass Jesus gar nicht existiert?«, fragte ich.
Hinnermäki sah mich ein wenig verwirrt an. Dann erzählte er von Jesus:
»Ich habe Jesus zwar noch nicht persönlich getroffen, aber ich habe gehört, dass er hier irgendwo existiert. Allerdings ist er so gefragt, dass er öffentliche Plätze meidet und sich möglichst unauffällig in entlegenen Gegenden aufhält. Voriges Jahr gab es Gerüchte, dass er am Rande des Sonnensystems, irgendwo in der Nähe des Jupiters, gesehen worden sei, wo sich so gut wie keine toten Seelen aufhalten. Prominent zu sein bringt auch unter den hiesigen Bedingungen einige Nachteile mit sich, und Jesus hat ganz besonders unter dem Fluch der Berühmtheit zu leiden, da das ganze Chris tenvolk mit ihm sprechen will.«
Ich erkundigte mich, von welcher Dauer das »zweite Leben« des Menschen war.
»Das hängt völlig von den persönlichen Eigenschaften eines jeden ab. Viele Tote leben sehr lange. Die Intelli gentesten haben die längste Lebensdauer, die Dümms ten verflüchtigen sich nach wenigen Augenblicken in der
Atmosphäre. Wenn kein Hirnkapital vorhanden ist, gibt es auch kein zweites Leben. Ich habe festgestellt, dass ein gewöhnlicher Durchschnittsfinne, der im Erwachse nenalter stirbt, nicht einmal so viel geistige Lebenskraft besitzt, dass er ein volles Jahr nach seinem Tod weiter lebt. Manch jugendlicher Flaps hat sich schon buch stäblich in Luft aufgelöst, wenn nach seinem Tod noch keine fünfzehn Minuten vergangen waren«, erklärte Hinnermäki.
»Ist das nicht ungerecht?«
»Das würde ich nicht sagen. Was soll ein dummer Mensch mit seinem zweiten Leben anfangen? Er könnte es ja doch nicht genießen. Genauso wie die frisch ver storbenen Säuglinge, die hier ankommen. Sie können schon allein wegen ihres geringen Alters keinen nen nenswerten Verstand in die Waagschale werfen. Diese unglücklichen Babys lallen hier eine Weile herum und verflüchtigen sich dann glücklich in die Atmosphäre. So funktioniert das Ganze meines Wissens.«
Dann erzählte Hinnermäki, dass es natürlich auch eine Menge Leute gab, die schon vor Tausenden von Jahren gestorben waren und immer noch ihre volle geistige Kraft besaßen.
»Ich möchte keineswegs prahlen, aber ich bin einigen wirklich alten Toten schon persönlich begegnet. Der bedeutendste von ihnen ist Hammurabi, den ich vor vier Jahren im Frühjahr kennen lernen durfte. Hammurabi ist eine phänomenale Persönlichkeit, zum Beispiel hat er in diesem Jahrhundert extra Englisch gelernt, damit er sich mit den neueren Toten unterhalten kann. Beson ders gut sind seine Kenntnisse nicht, seine Aussprache ist ziemlich mies, aber der Versuch verdient auf jeden Fall Bewunderung, denn immerhin ist der Mann fast viertausend Jahre alt.«
Propst Hinnermäkis Lebensklugheit gefiel mir. Er lehrte mich viele nützliche Dinge für mein neues Dasein, und zum Abschluss gab er mir noch einen sehr wichti gen Rat:
»Wenn Sie sich hier im Jenseits bewegen, sollten Sie vorsichtig sein, was den Kosmos angeht. Sofern Sie das Sonnensystem nicht wirklich genau kennen, tun Sie besser daran, vorläufig auf der Erdkugel zu bleiben. Zahlreiche neue Geister haben sich im ersten Rausch sofort ins Weltall aufgemacht und dann aus Mangel an astronomischen Kenntnissen nicht wieder zu unserem Planeten zurückgefunden. Den Mond können Sie natür lich besuchen, aber auch das sollten Sie vorsichtig und lieber im Schutz des Erdschattens tun, damit Sie nicht, von der Sonne geblendet, aus Versehen am Mond vorbei in unbekanntes Gebiet sausen. Wenn man sich mit der Geschwindigkeit eines Gedankens bewegt, passiert es ungeheuer leicht, dass man ins Ungewisse rast«, warnte mich der Propst.
Ich bedankte mich für die Ratschläge und wünschte meinem neuen Freund viel Spaß bei den beiden Beerdi gungen, die an diesem Nachmittag noch anstanden. Guten Mutes verließ ich den Friedhof: Auf viele Fragen hatte ich eine einleuchtende Antwort bekommen, sodass ich mich jetzt besser in die neuen Bedingungen fügen konnte als vor meiner Begegnung mit dem Propst.
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