Im Keller
Rascheln und leises Fiepen zu hören.
Wie konnte die Frau Tiere im Käfig halten, wo sie doch selbst jahrelang wie im Gefängnis gelebt hatte?! Glaubte sie vielleicht, es müsse so sein, Leben hieße gefangen sein, nicht frei sein, sich nicht entwickeln und entfalten können? Ob er ihr klar machen konnte, dass es z umindest hier, in diesem Land, meistens nicht so war?
„Frau Gerber, kennen Sie den kleinen Raum hinter dem Schrank im Keller Ihrer verstorbenen Ex-Schwiegermutter?“ Er schaute in ihr zartes, unbewegtes Gesichtchen, und sie senkte sofort den Blick - und den Kopf.
„Nein, keine Ahnung“, murmelte sie.
Ja, er war es, der wunde Punkt. Arthur konnte durchaus verstehen, dass die Frau nicht an di esen Ort ihrer Demütigung und ihres Leidens erinnert werden wollte. Aber sollte sie nicht endlich anfangen, die Geschichte zu verarbeiten? Ganz abgesehen davon, dass er endlich die Wahrheit wissen musste!
„Doch, Frau Gerber, ich weiß, dass Sie den Raum kennen!“ Arthur gab seiner Stimme einen tadelnden, aber nicht zu scharfen Ton. „Wir haben da unten ein Tagebuch von Frau Kirc hfeld gefunden, und in dem steht, dass Sie im Keller ein Kind nach dem anderen geboren haben, und jedes dieser Kinder ist Ihnen von Clemens Kirchfeld weggenommen worden! Wir haben die Babyleichen gefunden, er hat alle drei Säuglinge ermordet. Was haben Sie mit ihm gemacht, Frau Gerber?“
Während er redete, hatten ihre Hände, die zitterten wie bei einem Alkoholiker auf Entzug, zu den Zigaretten gegriffen. Sie steckte sich eine zwischen die Lippen, und dann funktionierte das Feuerzeug nicht. Klick, keine Flamme. Noch ein Klick und noch einer. Nichts. Die Gerber kämpfte mit den Tränen. Die Finger zitterten stärker. Sie schüttelte das Feuerzeug, umkla mmerte es mit beiden Händen, drückte darauf herum - und endlich eine Flamme! Die Zigarette brannte. Ein tiefer Zug, und noch einer.
„Ich ... ich hab gar nichts gemacht, gar nichts!“ Sie schluchzte einmal auf und zog die Nase hoch. „Nein, ich hab nichts gemacht ... das war nicht meine Idee, nein, und ich hab auch nichts gemacht!“
Plötzlich ließ sie die Zigarette in den Aschenbecher fallen, schlug die Hände vors Gesicht und fing an zu weinen. Dann aber sprang sie auf und eilte mit den Worten „Ich muss was trinken“, aus dem Wohnzimmer.
Arthur beschloss, ihr eine kurze Auszeit zu gönnen. Vielleicht hatte auch sie mit dem Trinken angefangen. Sollte sie sich doch zur Beruhigung ein Schlückchen genehmigen, vielleicht e rzählte sie ihm dann, ,wer die Idee hatte‘. Zu was auch immer.
Er lehnte sich zurück und behielt die Gerber gewissermaßen mit den Ohren weiter im Auge: er hörte, wie sie Schubladen öffnete und darin kramte, und es dauerte nur Sekunden, bis sein Verstand anmahnte: hatte die Frau nicht gesagt, sie wolle etwas trinken? Seit wann findet man Gl äser oder Flaschen in der Schublade? Also was, zur Hölle, tut sie da?!
Arthur dachte sofort an Tabletten oder Küchenmesser, sprang alarmiert auf, und als er an der Wohnzimmertür ankam, sah er Uschi gerade aus der Küche in den Flur treten. Sie bemerkte ihn ebenfalls und blieb stehen.
Auch Arthur blieb stehen, denn das, was sie in der Hand hielt, war keine Schachtel mit Tabletten, war kein Küchenmesser, es war eine Schusswaffe!
Noch hing sie neben ihrem Körper herab, aber er war sicher, sie würde in der nächsten S ekunde auf ihn zielen und versuchen, ihn zu erschießen. Ohne nachzudenken, blitzschnell und geschmeidig, sprang er zur Seite, ging neben der Tür in Deckung, wo er fast mit einer Pflanze kollidiert wäre. Er überlegte noch, was zu tun sei, als er hörte, wie Uschi eine Tür öffnete, sie zuwarf und einen Schlüssel umdrehte. Das hatte nicht nach Wohnungstür geklungen!
Arthur lief in den Flur, nur zwei Türen waren geschlossen. Er drückte die erste Klinke heru nter: abgeschlossen. Die Tür daneben ging auf: das Badezimmer. Also hatte sich die Frau vermutlich im Schlafzimmer verkrochen.
Leise klopfte er gegen die Tür und bemühte sich um einen beruhigenden, verständnisvollen Tonfall: „Frau Gerber, was immer Sie jetzt vorhaben, überstürzen Sie nichts, wir können -“
„Gehen Sie weg!“, rief sie, und ihre Stimme klang aufgelöst und leicht hysterisch.
„Hören Sie, ich möchte Ihnen helfen. Es gibt immer einen Weg, um -“
„Ich schieß mir in den Kopf, wenn Sie nicht gehen!“ Jetzt nahm die Hysterie definitiv Überhand.
Ob sie überhaupt wusste, wie sie die Waffe
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