Im Kerker der schönen Justine
Bluträuber nichts an. Und trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass mehr dahintersteckte.
Ich drehte mich zur Seite, als ich den Schlüssel hervorholte. Das Funksignal öffnete uns die Türen. Diesmal wollte ich das Lenkrad übernehmen, stieg allerdings noch nicht ein, sondern blieb am Rover stehen und wartete auf Suko.
»Was ist los, John?«
»Ich denke an etwas Bestimmtes.«
»Sehr gut. Ich auch. Und ich kann mir vorstellen, dass dir ein Name durch den Kopf schwirrt.«
»Sprich ihn aus.«
»Justine Cavallo.«
Ich hob für einen Moment die Arme. »Volltreffer, mein Lieber.«
»Falls die etwas weiß.«
Ich hob die Schultern. »Das kann ich mir schon vorstellen. Justine ist schließlich Insider und in der Nacht oft unterwegs. Sie hört das Gras wachsen, wie man so schön sagt.«
»Und kannst du dir auch vorstellen, dass sie nach der Eichhörnchen-Methode vorgeht?«
»Wie sieht die denn aus?«
»Sammeln, John. Sich einen Vorrat anlegen für schlechte Zeiten. Das machen doch die Eichhörnchen – oder?«
»Ja. Und Justine lebt nun mal vom Blut der Menschen. Aber dass sie sie zur Ader lässt, das kann ich nicht glauben. Die schlägt ihre Zähne in den Hals des Opfers und saugt sie leer.«
»Klar. Aber manchmal gibt es Leute, die ihre traditionellen Methoden eben ändern.«
Ich winkte ab. »Wir werden sehen. Steig ein.«
***
Nachdem sich die Tür des Lastenaufzugs hinter Lilian Smith und Dr. Bonham geschlossen hatte und sie in der muffig riechenden und mit altem Holz verkleideten Kabine standen, da dachte sie daran, sich in einer großen Gruft zu befinden, und die Weichheit in ihren Knien nahm noch zu. Sie war froh, die Wand im Rücken zu haben, die ihr zumindest etwas Halt gab.
Eine letzte Hoffnung war zerplatzt. Auf dem Weg zum Aufzug war ihnen niemand begegnet, den sie hätte um Hilfe anflehen können. Das gesamte Krankenhaus strahlte die Ruhe eines Friedhofs aus. Das hatte sie in all ihren Dienstjahren nie irritiert, nun war das jedoch der Fall, und sie fühlte sich mehr als unwohl in ihrer Haut.
Die Waffe war stets sichtbar gewesen und hatte die Krankenschwester bedroht. Nur jetzt nicht. Da hatte der Arzt sie weggesteckt, aber Lilian traute sich nicht, ihn anzugreifen. Er war nicht nur stärker als sie, sondern auch rücksichtsloser.
Sie hatte etwas gesehen, was sie nicht hatte sehen sollen, und fragte sich, wie es weiterging. Was hatte man mit ihr vor, denn sie war eine Zeugin?
Da gab es eigentlich nur eine Antwort. Die kam ihr in den Sinn, auch wenn sie keine Freundin irgendwelcher Krimis war. Unliebsame Zeugen schaltete man aus, so einfach war das.
An den Tod zu denken, das hatte sie nicht vor. Trotzdem tat sie es, und sie merkte, dass sich die Haut im Nacken spannte und sich die Haare aufstellten.
Der alte Fahrstuhl stoppte. Wie immer war dies mit einem Rucken verbunden.
Beide befanden sich jetzt in einem Teil des Krankenhauses, den Lilian nicht mochte. Es war tatsächlich der Leichenkeller, wo die Verstorbenen für eine bestimmte Zeit aufgebahrt wurden, bevor man sie abholte.
Ich bin in einem Traum!, hatte sich die Krankenschwester immer wieder gesagt. Leider war sie nicht in der Lage, aus diesem Traum zu erwachen, und so erlebte sie weiterhin dieses Grauen, das sie auch überkam, wenn sie in das Gesicht des Arztes schaute. Hinter den dicken Brillengläsern blickten die Augen so kalt wie Gletschereis, und Lilian glaubte nicht daran, dass sich dieser Blick ändern könnte.
»Öffnen Sie die Tür!«, befahl der Arzt.
»Und dann?«
»Wirst du sehen, dass es weitergeht!«
Seine plumpe Vertrautheit wies nicht darauf hin, dass er seine Meinung ändern würde. Nach wie vor war dieser verächtliche Klang in seiner Stimme vorhanden.
Wie immer ließ sich die alte Metalltür nur schwer aufstoßen. Und wie immer spürte sie die Kühle dieser unterirdischen Welt, die ihr gegen das Gesicht schlug.
Dieser Keller hatte nur wenig mit einem Krankenhaus gemein. Man hätte hier auch einen Horrorfilm drehen können, denn dieser alte Gang war düster, trotz der hellen Kacheln an den Wänden, die allerdings ihre gelbliche Farbe verloren hatten und von einem dicken grauen Schmutzfilm überzogen waren. Nachdem dieser Bereich stillgelegt worden war, kümmerte sich niemand darum. Es grenzte fast an ein Wunder, dass hier noch Licht brannte.
Sie nahmen den Weg zum Leichenkeller. Die Türen an den Seiten waren geschlossen. Lilian musste wieder vorausgehen, und das Echo ihrer Schritte mischte sich mit dem
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