Im Kerker der schönen Justine
des Mannes.
Eine geschlossene Tür hielt sie auf. Dahinter lag dieser Raum, um den es ging. Lilian merkte, dass das Zittern in ihrem Innern zunahm. Sie wusste, dass sie die Tür öffnen sollte, aber sie wartete zunächst den Befehl ab.
Der kam.
Die Krankenschwester umfasste den dicken Griff mit beiden Händen und zerrte daran. Aufzuschließen brauchte sie nicht, und so schaute sie sehr bald in diesem Raum hinein, der ihr wie ein düsteres Grab vorkam, in dem sich kein lebender Mensch wohl fühlen konnte, es sei denn, er tickte etwas verkehrt.
Sie ging hinein. Kalt war ihr, und die Gänsehaut wollte einfach nicht verschwinden.
Hinter ihre klickte es. Dr. Bonham hatte den alten Lichtschalter herumgedreht.
Lilian’s Verkrampfung löste sich. In ihrer Fantasie hatte sie sich schlimme Dinge vorgestellt, die glücklicherweise nicht zutrafen. Hier lagen keine Leichen mehr auf den Metalltischen und warteten darauf, abgeholt zu werden. Überhaupt waren die Tische nicht vorhanden. Man hatte sie verschwinden lassen, und Lilian wusste nicht mal wohin.
Sie traute sich, eine Drehung zu machen und schaute den Arzt an, der sein Gesicht zu einer Maske hatte werden lassen und sie weiterhin kalt anblickte. »Soll ich hier eingesperrt werden?«
»Nein.«
»Was dann?«, flüsterte sie. Die Verzweiflung, die sie festhielt, war auch in ihrer Stimme zu hören.
»Es ist nicht deine Endstation, obwohl man den Tod hier riechen kann«, sagte er und lachte. »Aber es ist schade, Lilian, du bist nicht nur eine gute Fachkraft gewesen, ich habe dich immer für die Beste überhaupt gehalten. Nur hättest du deine Neugierde zügeln müssen. Zu viel Pflichtbewusstsein kann oft tödlich sein.«
Lilian schauderte zusammen. »Tödlich?«, hauchte sie und wusste zugleich, was das für sie bedeutete.«
Dr. Bonham nickte nur.
»Und Sie wollen mich umbringen?«
»Das würde ich nicht so sagen«, erklärte er. »Es ist etwas anderes, meine Liebe.«
Durch die Worte war Lilian von ihrer eigenen bösen Zukunft leicht abgelenkt worden. »Was soll das dann? Weshalb halten Sie mich hier fest? Soll ich hier für immer gefangen bleiben?«
»Nein, das würde auffallen. Ein langsames Sterben ist nicht angedacht. Zumindest nicht so, wie Sie es sich vorstellen.« Er war wieder sehr förmlich geworden. »Durch Ihren Tod werden Sie uns noch einen Gefallen tun, denn Sie sind als Spenderin ausersehen worden.«
Ihr fiel es wie die berühmten Schuppen von den Augen. »Meinen Sie damit mein Blut?«
»Genau darauf kommt es mir an.« Der Arzt lächelte. »Wir werden Ihnen Blut entnehmen, das heißt, Sie werden Ihr gesamtes Blut an uns spenden und nicht nur einen Teil, wie es bei Cecil Frazer der Fall gewesen ist. Ihr Blut wollen wir ganz.«
Lilian Smith wollte sich verhört haben, aber sie wusste selbst, dass dies nicht stimmte. Sie war das Opfer. Sie war das Lamm, das zur Schlachtbank geführt wurde, und sie hatte plötzlich das Gefühl, in einem Eiskeller zu stecken.
Sie schaute sich um, aber es war nichts zu sehen, was auf ein derartiges Vorhaben hingedeutet hätte. Hier gab es keine Liegen, keine Pumpen oder Anlagen. Hier war alles so leer, so kalt, und es roch nach Tod, nicht mal nach Blut.
Der Arzt ahnte ihre Gedanken. »Du brauchst dich nicht zu sorgen, das geht schon in Ordnung. Er deutete auf die rechte Wand. Auch sie war gekachelt. Man hatte die Schränke und die Regale dort entfernt. Die Löcher waren noch zu sehen, ansonsten gab es nichts in diesem verdammten Leichenkeller, bis auf die zweite Metalltür in der rechten Wand.
Lilian Smith arbeitete bereits seit mehreren Jahren in diesem Krankenhaus. Sie war auch öfter hier unten gewesen, aber sie hatte nie danach gefragt, was sich hinter der anderen Tür befand. Sie war immer froh gewesen, diesen Ort so schnell wie möglich verlassen zu können.
Jetzt würde sie es erfahren, und sie konnte sich vorstellen, dass dieser Raum zu ihrem Grab werden würde.
Die Tür besaß ein normales Schloss, das durch einen ebenfalls normalen Schlüssel geöffnet werden konnte. Und genau diesen Schlüssel hatte der Arzt bei sich. Er holte ihn aus seiner linken Kitteltasche hervor und schloss die Tür auf.
»Geh hinein!«, befahl er.
Lilian schluckte. Jetzt kam es darauf an, und es war für sie tatsächlich der wichtigste Schritt in ihrem Leben, und das nicht mal im übertragenen Sinne.
In ihrem Innern hatte sich der Widerstand aufgebaut, und nun konnte sie nicht einfach gehen. Sie wollte nicht mit offenen Augen
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