Im Kinderzimmer
Hacken in den nächsten Ausstellungsraum, einen kleineren Saal voller Miniaturen. Na, kein Wunder, frohlockte Mary, kein Wunder, daß es dir nicht gefällt! Ein Spiegel deines eigenen Ehebruchs. Gefällt dir wohl nicht in diesem schrillen Rot, scheust das 216
Licht, wie? Sie wußte doch um die einstige Promiskuität der kleinen Schwester, oder nicht? Im Grunde ihres Herzens glaubte sie allerdings nicht, daß Katherine so leichtsinnig wäre. Sie wußte nicht mehr, was sie glauben sollte, konnte aus der Perspektive ihrer eigenen rotumrandeten Augen nur den Betrug als gegeben sehen.
Ja, alle Zweifel waren jetzt ausgeräumt, alles paßte. Claud meldete sich nicht, hüllte sich in vielsagendes, ohrenbetäubendes Schweigen, bis er immer wichtiger wurde, bis das Läuten des Telefons, das stumm blieb, ihr in den Ohren gellte. Man sehe sie sich nur an: eine hochgradig nervöse Katherine, zappelnd vor schlechtem Gewissen, begierig, irgend etwas zu beichten, und kein Wort von Claud. Mary spürte Wut aufsteigen, teils hungerbedingt, teils aus mannigfaltigen Quellen tiefer Unzufriedenheit genährt. Nach der Rückkehr ins Restaurant stocherte sie in dem schlappen Salat auf dem Teller. Katherine kriegt alles, und mir bleibt ein Teller Grünzeug!
»So«, meinte sie übertrieben munter, »das war ja nett. Gehst du noch einkaufen? Was gibt’s Neues? Was macht der Job?«
Katherine schrak abermals zusammen, machte regelrecht einen Satz vom Stuhl hoch. »O gut, gut, alles bestens.« Eine ausweichende Antwort. Sie stocherte in ihrem Essen. Heute nichts Herzhaftes, kein Fleisch, sondern Salat mit Schafskäse. Sie mußte Mary unbedingt vom Erkerzimmer erzählen. Mary nahm ihrerseits nur das schuldbewußte Verhalten ihrer Schwester wahr. Siehst du: sie kriegt keinen Bissen runter! Ihre Ungeduld wuchs.
»Ich war heute morgen bei Mr. Isaac«, sagte sie vorwurfsvoll.
»Dachte, ich würde dich dort antreffen, aber du warst nicht zur Arbeit gekommen.«
»Nein«, bestätigte Katherine. »Heute nicht.«
»Aha«, meinte Mary und verstand. Der Alibi-Job, der es Katherine am Morgen erlaubte, dem guten David fröhlich Adieu zu winken, um dann in einem kleinen Hotel – oder einem eigenen Liebesnest, Katherine würde sich ohne weiteres eine Wohnung leisten können – zu ihrem Geliebten zu schleichen. Zu Claud, der mit Blumen oder irgendwelchen Geschenken aufkreuzte. Katherine würde vorm Fenster ihr weißes Kleid ablegen. Egal, ob es sich nun so oder etwas anders abspielte, wie auch immer, Katherine log, wollte sie für dumm ver-217
kaufen. So jedenfalls die Schlußfolgerungen Marys, ganz benommen vor tatsächlicher und eingebildeter Kränkung.
»Aber du hast den Job noch?« fragte Mary harmlos. Nicht, wenn Mr. Isaacs zu glauben war, dessen verzweifelt hochgeworfenen Ar-me und vorsichtigen Andeutungen, etwa »sehr bedauerlich, sehr bedauerlich, aber einfach nicht zuverlässig«, Mary anders gedeutet hatte. Im Zuge seiner Beteuerungen, die keineswegs auf eine klare Aussage hinausliefen, hatte Mr. Isaacs hinzugefügt, es tue ihm für den Gatten so leid, ein feiner Mann. »Wie meinen Sie das?« hatte Mary gefragt. »So unangenehm«, hatte Mr. Isaacs getuschelt, »die ganze Zeit über diese Betrügereien, und ich mochte nichts sagen.«
»Was für Betrügereien?« Mary hatte nicht lockergelassen. Mr.
Isaacs hatte sich verlegen die Nase gerieben, hatte nicht deutlicher werden wollen. Marys ohnehin überstrapazierte Phantasie war um Bilder nicht verlegen.
»Katherine, du lügst mir was vor«, sagte Mary jetzt der Schwester auf den Kopf zu, und schob sich rasch eine Scheibe Salami in den Mund, obwohl ihr der Appetit vergangen war. Katherine rutschte wieder unruhig hin und her.
»Bitte?«
»Du lügst«, wiederholte Mary mit Genugtuung.
»Aber nein, nein…«
»Doch. Ich weiß es. Ich habe mich umgehört.«
Katherine ließ sich stocksteif zurücksinken. Mary hatte mit David gesprochen! Früher hatten sie sich häufiger unterhalten, in der letzten Zeit nicht mehr so oft. Katherine hatte manchmal den unangenehmen Verdacht, daß Mary die ganze Sache arrangiert, ihre Ehe eingefädelt hatte wie eine Heiratsvermittlerin und daß sie sich durch Sophie auf dem laufenden hielt. Überhaupt war ihr aufgefallen, daß die wichtigen Menschen in ihrem Leben sich oft absprachen, über sie sprachen.
»Was machen wir bloß mit Katherine?« Sie hatte diesen geflüsterten Satz schon gehört, war sich dessen bewußt, daß ihre Person oft zum Gesprächsthema
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