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Im Kinderzimmer

Im Kinderzimmer

Titel: Im Kinderzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Fyfield
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unkoordiniert, un-kontrolliert. Als Mary in dem für sie charakteristischen energischen Ton zu sprechen begann, nahm er seinerseits ihre Kleidung zur Kenntnis, die an eine Politesse erinnerte, die abgehackte Sprechwei-se, das nüchtern-geschäftsmäßige Gebaren, und spürte, wie Vorurteil 222
    sich rasch zu spontaner Abneigung auswuchs. Wenn ihm jemand auf Anhieb gegen den Strich ging, wurde er hilflos. Er fühlte sich wie ein Schuljunge in Gegenwart eines verhaßten Lehrers, als er ihr nun mit großspuriger, trotziger Gestik die Diensträume zeigte, albern gak-kernd.
    »Ah ja, die ›Ausstattung‹… Nun, da hätten wir hier einmal die Ak-tenschränke. Klo ist draußen – wenn Sie brauchen –, Damen und Herren in einem. Darf ich Sie unserer allwissenden Miss Moneypen-ny vorstellen? Hier unser Telefon. Dort ein Stuhl, kaputt. Ich bin mir ja nicht ganz im klaren, was Sie begutachten wollen, aber mehr gibt es nicht zu sehen. Und fragen Sie nur nicht, wo die Mitarbeiter sind.
    Es gibt deren zu wenige, und die sind unterwegs.«
    Die Sekretärin verfolgte das Ganze peinlich berührt. Sie versuchte ihr Unbehagen über der Zubereitung des Tees zu verlieren. Dann mußte sie erst drei Stockwerke hinunter in den Laden laufen, um Zucker zu besorgen, den keiner wollte, und dann schenkte sie aus der abgestoßenen Kanne aus, als alle sich in geladener Atmosphäre um den Schreibtisch hockten.
    »Würden Sie sagen«, begann Mary, räusperte sich, Abneigung durch das aufgesetzt höfliche Lächeln entschärfend, ruhiger geworden, »daß Sie es bei Ihrer Arbeit mit einem repräsentativen Quer-schnitt durch soziale und ethnische Schichten zu tun haben?« Es war eine Fragenbogenfrage, und sie richtete sie an die Sekretärin. Die hatte gerade den Mund aufgemacht, um zu antworten, als John ihr zuvorkam.
    »Ethnisch gesehen ja, sozial gesehen nein. Es wird Ihnen doch nicht neu sein, daß das Gros der gesellschaftlichen Mißstände die untersten Schichten am härtesten trifft. Oder den ›Abschaum‹, werden Sie vielleicht meinen.«
    Mary ging ihre eigene Kindheit durch den Kopf. Sie verbannte die Erinnerung und besann sich dessen, daß laut Auskunft der befaßten Stellen Armut kein entscheidender Faktor im Versagen ihrer Eltern gewesen war, geschweige denn der Grund dafür, daß sie im Stich gelassen worden war. An Claud und Katherine verschwendete sie jetzt keinen Gedanken mehr, sie war viel zu sehr damit beschäftigt, John Mills einzig und allein um seiner selbst willen unsympathisch 223
    zu finden. Wegen des Ticks, des Bäuchleins und wegen seiner unsäglichen Arroganz.
    »Nicht unbedingt«, murmelte sie.
    Er sah sie mit kaum verhohlener Verachtung an. »Käme diese Art Mißhandlung wirklich querbeet durch alle Schichten hinweg vor«, dozierte er, langsam, jedes Wort betonend, als spräche er mit Schwerhörigen, »dann würde es sich um einen außergewöhnlichen Bazillus handeln, denn nur sehr spezifische Bazillen befallen in epi-demischem Ausmaß die mittleren und oberen Schichten. Eine hübsche Analogie, wie ich meine.« Sein Arm beschrieb eine ausladende Geste, Mary wich zurück. »Die Reichen wissen sich in der Regel sehr gut zu helfen, finden Sie nicht? Sie sind letztlich gegen vieles immun.«
    »Das kann man nicht so verallgemeinern…«, setzte Mary an.
    »Nach fünfzehn Jahren in diesem Job«, unterbrach sie John barsch,
    »kann ich das.«
    Unheilvolles Schweigen, während sie alle an ihrem Tee nippten.
    Mary untersuchte ihre Tasse mißtrauisch. Es war ihr nicht entgangen, daß er ihr mit Absicht die mit den Rissen und den braunen Ringen gereicht hatte. Als das Telefon klingelte, schoß die Sekretärin hin, als könnte die Muschel die Erlösung verkünden.
    Tack, tack, tack wieder treppab, kaum eine halbe Stunde nach ihrem Erscheinen. Mary käme auch zum nächsten Termin zu früh, und im Geiste hakte sie den ganzen Tag ab. Sie glaubte kein Wort von dem, was ihr oben erzählt worden war: daß sie ausgerechnet während der ersten Flaute, der ersten Verschnaufpause seit Wochen gekommen war, was mit den Sommerferien zusammenhänge, ein Gesichtspunkt, den zu berücksichtigen Mary nicht aufgelegt war. Katzen und Vorurteile, lächerliche Männer mit großen Füßen und schmächtigen Schultern, welche höchstens der Last der eigenen Komplexe gewachsen waren. Eines stand fest: keiner in dieser miesen Klitsche würde eine dieser verfluchten Auszeichnungen erhalten, geschweige denn eine Gehaltserhöhung aus dem Fonds. Noch Anerkennung

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