Im Kinderzimmer
hypnotisiert folgend, zu ihm hingezogen wie an unsichtbaren Fäden, hatte sich Jeanetta plötzlich übergeben müssen. Sie kotzte ihm regelrecht vor die Füße: unverdaute, gelbliche Käsebrocken klatschten auf die spiegel-blanken Fliesen, grell wie Eigelb. Das Kind war auf die Flügeltüren zum Garten zugestolpert, so rasch seine schwachen Beinchen es tragen konnten. Er war ihm ohne Hast gefolgt, hatte es mit Leichtigkeit eingefangen, hochgerissen und ohne ein Wort wieder in den Erker getragen. Entgleiste Strafmaßnahmen und kein Ende. Dieses Mal hatte sie nicht einmal gebrüllt.
Nachdem die Tür abgeschlossen worden war, kein Laut. Katherine schaute David nicht ins Gesicht, sondern auf die Hände, die den Schlüssel wieder in die Hosentaschen gleiten ließen und dann flink die Vorbereitungen wiederaufnahmen. Salat waschen, kein Eisberg, dieses fade Zeug, nein, dann jederzeit lieber einen guten Kos. Mit 237
dem kleinen Holzklopfer zwei Kalbsfiletstücke bearbeiten und in frischen Semmelbröseln wälzen. Neue Kartoffeln, wenige abgezähl-te, noch heiß in saure Sahne und Schnittlauch getaucht, mit Meersalz abgeschmeckt. Während er das Essen zubereitete, und während sie aßen, blieb es hinter der Tür zum Erkerzimmer schrecklich still. Katherine nahm an, daß Jeanetta weinte. David plauderte, als sei nichts gewesen, stellte laut Überlegungen zur Gestaltung des bevorstehenden Geburtstagsfests an. Er liebte es, zu organisieren. Seit Wochen hatten sie keine Gäste gehabt. Katherine lauschte ihm mit gesenktem Kopf – fassungslos zuerst, dann allmählich ruhiger, als sich hinter der Tür nach wie vor nichts rührte. Ja, die Aussicht auf Gäste war ein Hoffnungsschimmer. Und die Aussicht darauf, daß Jeanetta bei dieser Gelegenheit nicht zugegen sein würde, war ein Aspekt, den sie mit Erleichterung bedachte, ehe sie ihn verdrängte.
»Ich stelle mir ein sehr schlichtes, aber exzellentes Essen vor«, meinte David gutgelaunt. »Zehn Personen, nicht so wild. Monica und Jenny werden da sein, deine Freundinnen, samt Ehemännern, diese Susan von nebenan mit dem ihrigen, falls er greifbar ist – kann es ihm nicht verübeln, wenn er sich aus dem Staub gemacht hat. Ach, und das amerikanische Paar habe ich eingeladen. Kleine Revanche für ihr vulgär bombastisches Fest.« Er grinste sie vielsagend an.
»Vergeben und vergessen, glaub mir. Ein Gläschen Wein, meine Liebe? Probier ihn mal, du magst doch Chardonnay. Nein? Du hast recht, er ist tatsächlich eine Idee zu schwer.«
Er aß sein Kalbsfilet und den liegengebliebenen Rest des ihren. Er handhabte sein Besteck lautlos und geschmeidig, mit sparsamen Bewegungen, aß immer schnell, selbst in Gesellschaft.
»Dann Drinks im Garten, wenn das Wetter so bleibt wie jetzt. Angenehmer bei der Hitze.«
Sie schwieg und dachte mit Dankbarkeit an den Apfelbaum, der die Fenster des Spielzimmers zumindest zum Teil verdeckte und Schatten spendete bis zum Abend, wenn die sinkende Sonne unter den Zweigen hindurch hineinschien. Um den Baum schwirrten stets Wespen, als müßten sie sich frühzeitig Plätze sichern – lang bevor die Früchte im Herbst erschienen, die nie richtig reiften, Zwergfrüch-te, klein wie Murmeln, von Interesse höchstens für irgendwelches 238
Getier. Sie verschwieg ihrem Mann die Wespen. Allein die Vorstellung eines Wespennests in seinem Baum würde er als persönliche Beleidigung ansehen. Katherine kaute lustlos an ihrem Salat. Eben-sogut hätte man ihr an diesem stickig schwülen Abend Hafergrütze vorsetzen können; er schmeckte wie Staub, gespickt mit scharfen Meersalzsplittern.
Dann brach in die kontemplative Stimmung nach dem Essen, als sich der Hausherr ein Zigarillo angezündet hatte – das einzige Laster, dem zu frönen er sich gestattete – und seine Frau abwägend betrachtete wie ein mögliches Dessert, das Schaben aus dem Spielerker herein. Ein Scharren, ein Kratzen, dumpfe Schläge, ein Klopfen eher als die Tritte, die es zu Beginn noch gegeben hatte. Jeanetta jenseits der Tür zerstörte die wiederhergestellte Ordnung ihres Kerkers, mit geschwächten Kräften zwar, aber ungebrochenem Willen. Sie schlug mit den dicken, kleinen, wie ein Fächer gespreizten Fingern des ab-getrennten Puppenarms auf die Tür ein, ein fast rhythmisches Klopfen, gedämpft, aber beharrlich. Katherine erstarrte, alarmiert, aber auch ärgerlich. Warum konnte sie nicht begreifen, was für sie selbst und für sie alle am besten war? Der Friede hing am seidenen
Weitere Kostenlose Bücher