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Im Kinderzimmer

Im Kinderzimmer

Titel: Im Kinderzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Fyfield
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Faden.
    David langte hinter sich und schaltete das Radio ein.
    »Laß sie heraus. Bitte, Schatz.« Katherine kam ihre eigene Stimme fremd vor.
    Er lächelte, schenkte ihr das strahlende, gewinnende Lächeln, bei dem Lachfalten um die Augen erschienen und die penibel gepflegten weißen Zähne blitzten. »Später, mein Schatz. Wir haben Besseres vor.«
    Die Worte erfüllten sie mit Hoffnungslosigkeit, mit Verzweiflung.
    Die Formel war bekannt: Essen, Wein, Sex. Die Abfolge ein Ritual.
    Den ganzen Tag war ihr schon übel.
    »Nein!« Der scharfe Ton überraschte sie selbst.
    »Was soll das heißen: nein?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich will noch mehr Kinder«, erklärte er unvermittelt. »Söhne. Du hast gut daran getan, dir die Haare nicht kurz schneiden zu lassen.
    Ich will schöne, gutaussehende Söhne mit Haar wie deinem. Viele.«
    Dann hatte er sie hinauf geschleppt.

    239
    Das Gesicht im Spiegel alt. Alt genug, um es besser zu wissen.
    Selbst wenn sie verrückt war, eine Möglichkeit, die ihr gar nicht abwegig erschien, selbst dann durfte sie nicht mehr kneifen, durfte hier nicht liegen, schweigen und sich belügen. Schweigen. Ohrenbetäubende Stille im Obergeschoß dieses ordentlichen, geordneten Haushalts. Davids kräftiger Oberkörper, vom Fenster abgewandt. Zu hören bloß das Summen des Verkehrs, ein faßbares, konkretes Ge-räusch, unbeseelt und ohne Trost. Die Haut um die Augen spannte, verklebt von Schweiß und Tränen um die kleine Jeanetta unten, die sich mit Jack unterhielt und sich im Dunkeln fürchtete. Dazu die beunruhigende Tatsache ihrer eigenen Verärgerung über das Kind.
    Zentimeter um Zentimeter schob sich Katherine aus dem Bett und dann mit kleinen vorsichtigen Schritten zum Stuhl hinüber, auf dem seine gefalteten Sachen lagen. Sie hielt den Atem an, suchte in den Taschen der Hose, bis ihre Finger sich um den Schlüssel schlossen, das kalte Metall in der Handfläche wie der Schock einer Verbrühung.
    Sie zuckte zusammen, als die Gürtelschnalle, die von der Hose baumelte, gegen ein Stuhlbein schlug. David regte sich im Schlaf, die Schulter drehte sich um zehn Grad, der Hals ebenfalls, eine Hand schob sich unters Kopfkissen. Unter dem dunklen Haarschopf wirkte der Hals verletzlich. Ganz deutlich verspürte sie den Impuls, ihm das Kissen gegen das Gesicht zu halten, das dichte Haar auszulöschen, das markante Profil unter weißem Leinen zum Verschwinden zu bringen, zum Schweigen zu bringen, ihm auf immer den Atem zu rauben. Doch der flüchtige Gedanke zog keine tatsächliche Handlung nach sich. Der Besitz des Schlüssels verlieh ihr einen Augenblick lang ein triumphales Machtgefühl. Auch das verflog, kaum daß sie hinunterstolperte. Durch das Fenster am Treppenabsatz fielen Lichtstreifen auf den Mahagonihandlauf, den sie heute morgen erst auf Hochglanz poliert hatte. Sie klammerte sich an das warme Holz wie an eine Rettungsleine, hangelte sich daran langsam in die Eingeweide des Hauses hinab, konnte sich kaum vom Geländer lösen. »Du darfst nicht rufen oder schreien, Jeanetta, du darfst keinen Mucks von dir geben, das ist unser Geheimnis. Bald ist alles überstanden.
    Wenn er erst einmal sieht, wie dünn du geworden bist; still, mein Schatz, bitte sei leise, sprich nicht, bleibe ganz still. Ich gebe dir 240
    wenigstens ein paar Cornflakes.« Der Kühlschrank hatte kein Schloß, und ein normalerweise verschlossener Küchenschrank ließ sich öffnen, es war der mit den Trockenvorräten: Reis, Flocken, ach, alles Dinge, die einem am Gaumen kleben würden, aber auf dem Tisch stand wenigstens eine Schale Obst. »Nichts, was du gerne ißt, Jeanetta, keine Kekse; die machen ja auch bloß dick.« Die Stille in der Küche war vollkommen, der Raum gegen den Straßenlärm isoliert, den man oben schwach vernahm. Nur das leise Ticken des Boilers im Schrank neben der Tür zum Spielzimmer war zu hören. Als Katherine den Schlüssel ins Schloß schob, mit einer Hand die kühle Mes-singklinke umklammernd, schien das Ticken bedrohlich laut zu werden, näherzurücken. Sie fürchtete eine Falle, stellte sich vor, die Klinke wäre mit einem Zeitzünder versehen, doch ihre Hände ließen sich nicht einschüchtern, machten weiter; das Ticken blieb gleichmäßig. »Scht!« hauchte sie durchs Schlüsselloch. »Scht, Jeanetta, ich bin’s, scht, um Himmels willen, still.« Ihr Flüstern durchschnitt die Stille wie ein Messer, gellend laut wie das Rumoren hinter der Tür.
    Katherine wartete einen Augenblick und

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