Im Kinderzimmer
zur Haustür.
»Jagst du Einbrecher?« fragte er. »Oder sind sie hinter dir her?«
Katherine rutschte das Band aus dem Haar. Als hätte nur dieses ihren Verstand zusammengehalten, riß jetzt der Faden, und Finsternis umgab sie.
Sophie Allendale hatte gewußt, daß es eines Tages so kommen muß-
te. Jetzt war es soweit. Zu ihrer eigenen Überraschung war sie vollkommen gefaßt gewesen, die Ruhe in Person, aber sie hatte sie ja auch nicht dabei überrascht. Erst mit Verzögerung überkamen sie die alten Ängste. Seit Jahren hatten sie derlei Schreckensvisionen geplagt: Einbrecher, die sie sich nach Berichten aus der Lokalzeitung als massige Schränke von Kerlen ausmalte, die in Banden operierten, mit Äxten bewaffnet, der Alptraum aller über sechzig, alle hinter ihren, Sophies, Sachen her. Doch sie hatte sich von einer ihrer Freundinnen ihre übliche Wachsamkeit ausreden lassen, denn die hatte gemeint: »Man stirbt nur einmal, und wenn du dich weiter so verbarrikadierst, krepierst du eher an Hitzschlag!«
»Mach dich doch nicht selbst verrückt«, hatte Mary Fox geraten,
»sogar Einbrecher werden bei solcher Hitze träge, und wenn du nicht 245
die Fenster aufmachst, schrumpelst du weg wie Dörrobst.« Das war neulich beim Tee gewesen, während Sophie gegessen hatte, war Mary unruhig auf und ab getigert, bis Sophie fast wahnsinnig wurde, hatte über ihre Schwester hergezogen und die Hitze verflucht. »Wir haben August, Oma, nun mach doch schon die Fenster auf, ich bitte dich, die stickige Luft ist schlecht für die Haut!« Letzteres gab den Ausschlag. Sophie hielt ihre Haut nämlich für erstaunlich glatt, wenn man ihr Alter bedachte. Mary dagegen erschien die Ansammlung von Tiegeln und Töpfchen, die zu deren Konservierung erforderlich waren, für maßlos übertrieben; sie hinderten einen daran, ans Waschbecken zu gelangen. Also hatte Sophie – um wenigstens die Ausgabe für die Kosmetika zu rechtfertigen – die Flügeltüren des Eßzimmers aufgestoßen und hatte den Luftzug als derartige Erleichterung empfunden, daß sie danach oft vergaß, sie wieder zu schlie-
ßen. Irgendwie waren Einbrecher oder vielmehr der Erhalt ihrer Mö-
bel oder auch die Angst vor Vergewaltigung dieser Tage nicht mehr so wichtig. Eine lebenslange Neurose entglitt. Sie hatte andere Sorgen.
Wie zum Beispiel ihre Verbannung aus dem Haus von Sohn und Enkelkindern. Kummer war gar kein Ausdruck für den Schock der Ablehnung. Es fehlten ihr die Worte, ihren Tratschweibern das Ausmaß der Kränkung zu beschreiben, als sie sich das nächste Mal bei Luigi trafen, wußte auf die Frage »Und wie geht’s denn den Kleinen?« keine Antwort, die als Lüge nicht durchschaubar wäre oder deren Knappheit nicht aufgefallen wäre. Die Freundinnen waren ja nicht von gestern, Familienstreitigkeiten griffen sie begierig auf, und Sophie hatte allzu lange mit ihrer Musterverwandtschaft geprahlt.
»Blendend«, sagte sie daher. »Werden jeden Tag größer. Und einen gesunden Appetit!« Das war nichts Neues, und im Vergleich zu der Ausführlichkeit, mit der sie sonst berichtete, äußerst mager, auch wenn der Kontakt zu Sohn und Enkeln bei weitem nie so eng oder regelmäßig gewesen war, wie sie vorgegeben hatte. Doch der Abbruch jeden Kontakts, das konnte man kaum als rein graduelle Abstufung bezeichnen, das kam einem Schlag in die Magengrube gleich, der sie japsend nach Luft ringen ließ, eine so furchtbare De-mütigung, daß sie nicht davon sprechen konnte, außer mit Mary.
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Mary hatte gesagt, es sei Katherines Schuld, und auch wenn Sophies Schilderung der Ereignisse ihres letzten Babysitting-Besuchs nicht durchweg der Wahrheit entsprochen hatte, war sie doch geneigt, Mary zuzustimmen, denn schließlich war es doch Katherine, die ihr den Zutritt zum Haus verweigerte.
Als die Einbrecher zuschlugen, war sie unterwegs gewesen, in einer der Straßen unweit ihres Heims, wo es die Zerstreuung von Schau-fenstern gab. Sophie sah sich gern Antiquitäten an – wo genau, tat nichts zur Sache – und sie liebte es vor allem, ernsthaftes Kaufinter-esse vorzugeben, wohl wissend, daß ihre äußere Erscheinung und ihre vornehme Aussprache ihr den Habitus einer Dame, und zwar einer gut situierten, verliehen. Wer konnte schon ahnen, daß ihr das Taschengeld strikt vom Sohn zugeteilt wurde, und das seit seinem zwölften Lebensjahr. Also widmeten ihr die Händler oft bis zu zwanzig Minuten ihrer Zeit, beantworteten geduldig alle Fragen.
Tatsächlich hielt sie
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