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Im Kinderzimmer

Im Kinderzimmer

Titel: Im Kinderzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Fyfield
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immer neuer Selbst-vorwürfe, qualvolle Morgenstunden – zum Überlaufen brachte.
    Nichts blieb mir, nicht einmal die unangefochtene Herrschaft in meinem eigenen Haus. Da stand ich und ließ mir sagen, was ich zu tun hätte, mußte mir diese himmelschreienden, panikschürenden Übertreibungen anhören! Das Blut stieg mir in die Wangen. Sie wich zurück, bereute ihre Forschheit. In diesem winzigen Moment peinlichen Schweigens ertönte die Türglocke. Mark sauste an uns vorbei und katapultierte sich mit dem Ruf »Papa! Papa! Papa!« die Treppe hinunter, ließ mich und die meuternde Gefolgschaft, jede mit einer Hand an der halboffenen Reisetasche, stehen. Mein Sohn wäre auch nackt mit seinem Vater mitgegangen, nur das ging in meinen Schä-
    del. Ich begriff es, vom Donner plötzlicher Erkenntnis, hellsichtigen Verständnisses gerührt, bedauerte es, bedauerte es mehr als alles andere. Nichts anderes zählte. Wäre ich ihr schluchzend um den Hals gefallen, vielleicht hätte mich Mrs. Harrison gemocht, aber ich tat es nicht, konnte es nicht. Statt dessen folgte ich meinem Sohn nach unten, sah ihn mit der Haustür kämpfen wie ein wildgewordenes Tier, nur mäßig beruhigt, als Harrison, mit der würdevollen Geste des vollendeten Butlers, ein Lächeln auf den Lippen, öffnete.
    Es war mir vorher nie aufgefallen, erst jetzt war mir die Einsicht im Morgengrauen wie im Traum erschienen, welche Zuneigung Sebastian in anderen weckt. Ohne daß ich die Tage seines Fortseins gezählt hätte, wußte ich doch, wie lang sie gewesen waren, wie der Haushalt ohne Kompaß geschlingert war, wie unbezweifelbar echt die Wiedersehensfreude auf Harrisons Gesicht war. Ich habe es nie gesehen, ich habe es nie erkannt, und meine Blindheit war ein Segen in den Tagen der alten, überheblichen Indifferenz. Sie lieben ihn alle, erkennen seine Autorität an. Wie gerahmt stand er im Türeingang, eigentlich ein gutaussehender Mann, ein Mann, dessen Leben für mich ein unbeschriebenes Blatt geblieben ist, den ich nie gefragt habe, was er mit seinem Leben macht, was er im Leben will, von dem ich nichts verlangt habe, außer daß er mir den gewohnten Le-bensstil zubilligte, meine Gleichgültigkeit hinnahm und daß er mir aus dem Weg ging, wenn die Trunkenheit mich unausstehlich machte. Er trat nicht ein. Ich stieg die Treppe wieder hoch – Rollentausch, 260
    ich nun die Dienstbotin –, um die halb fertiggepackte Tasche zu holen, überließ die beiden einander, als hätten sie nie zu mir gehört, lächeln, lächeln, lächeln. Doch nicht vor den Kindern, bitte, nicht weinen. Nur gute Wünsche. Mein Versagen klar vor Augen. Zornig, ohnmächtig, uralt, mit schwachen Knien. Lächelnd. Viel Spaß. Ach, und wann kommt ihr zurück? Nein, ach, vergiß es, nein, nein, vergiß es.
    »Worum geht’s?« fragte Sebastian, Mark an der Hand.
    Ich trat nach dem Teppich, genau wie Mark, wenn er sich nicht anmerken lassen will, daß er verlegen ist. »Ach… nicht so wichtig.
    Die Einladung bei Allendales… bist du da?«
    Sein Gedächtnis für Termine ist unfehlbar, wie ein Instinkt, wie sein Bedürfnis, niemandem wehzutun.
    »Ach ja, stimmt«, sagte er. »Bald, nicht wahr? Wollen wir zusammen hingehen?«
    »Bitte«, sagte ich.
    »Wir sind dann doch wieder da?«
    Mark blickte hoch. »Ich denke.« Er trat nun seinerseits nach dem Teppich.
    »Laß das, Mark!« fuhr ich ihn an und hätte mir die Zunge abbeißen mögen. »Also. Bis dann.«
    Ich weiß nicht mehr, wer die Tür zumachte.
    Was heißt knüppeldick, es kam noch schlimmer. Es kommt immer noch schlimmer, wenn man meint, man hätte die Talsohle schon erreicht. So zum Beispiel Samantha, die im Nachthemd die Treppe heruntergefegt kam, ein Poltergeist mit hochroter Zornesgrimasse.
    Vielleicht verkehrt, den Blitzbesuch des Vaters vor ihr geheimzuhal-ten. Wir hatten es besprochen, ich weiß nicht mehr, was meine Meinung dazu war. Ich glaube fast, ich hatte gesagt, wir wollen uns eine Eifersuchtsszene und unnötige Aufregung ersparen. Dachte wohl, sie kommt auch noch dran, wenn ich überhaupt dachte. Wir hätten uns die Überlegung sparen können, die Entscheidung war falsch. Demokratie gilt auch für Kinder.
    »Papa war da!« schrie sie. »Papa! Hab ihn gehört! Hab’s gehört!
    Hab’s gehört!«

    261
    »Komm, mein Schatz, zurück ins Bett. Es ist spät«, versuchte es Mrs. Harrison, erbittert. Samantha wandte sich mir zu. Sie ähnelt mir in so vieler Hinsicht, während Mark nach seinem Vater kommt. Samantha hat

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