Im Kinderzimmer
nichts von der Gutmütigkeit der beiden, eher einen eisernen Willen und ein unglaubliches Organ.
»Du hast mir nichts gesagt! War der Papa, war er!« Keiner widersprach ihr. »Du hast mir nichts gesagt. Du hast mir nicht gesagt, daß er kommt! Ich will meinen Papa! Papa! Papa! Papa!«
»Beruhige dich.« Ich wollte sie in den Arm nehmen, sie zuckte zu-rück, als könnte sie einen Schlag versetzt kriegen.
»Warum?! Warum?!« wimmerte sie.
»Weil…«
»Ich hasse dich, du blöde Mama! Blöde, blöde Kuh! Blödmann!
Arsch!«
Woher nehmen sie bloß die Ausdrücke! Da stand sie, bebend vor Zorn, das Gesichtchen wutverzerrt, tränenüberströmt, mit ihrem ganzen Wesen darauf bedacht, mir das schlimmste Schimpfwort entge-genzuschleudern, das ihr einfiele, das verletzendste, was sie aufbie-ten könnte.
»Fette Beine!« spuckte sie mir hin, »dicker Hintern! Dumme alte Hexe! Ich hasse dich!«
Zum Lachen, dieser Zwergenaufstand. Ja, vielleicht. Für jeden au-
ßer für mich. Sie strauchelte schluchzend nach oben, erschreckt von der Heftigkeit der eigenen Gefühle. Ich hätte ihr nachgehen müssen, obwohl ich ohne jegliche Energie zu sein schien. Doch der Stolz meldete sich wieder zurück, die stoische Verbissenheit, die zusam-mengebissenen Zähne. Keine verletzte Eigenliebe, nur Schuldbewußtsein. Mrs. Harrison ging hinauf. Sie würde sicher mit offenen Armen empfangen.
Etwas zu trinken. Dringend. Sofort. Nicht in der Küche, die Harrisons haben Augen im Hinterkopf, Röntgenaugen, auch wenn sie unten verschwunden sind. Verwirrt. Was will ich überhaupt? Den Arm voller Flaschen, steige ich klirrend die Treppe hinauf. Der Tonic zum Gin ist im Schreibtisch versteckt. Irgendwann später, weit nach zehn Uhr, höre ich Harrison zaghaft klopfen. Antworte nicht.
Noch später klingelt das Telefon. Die Angestellten heben unten ab, 262
regeln meine Angelegenheiten. Ich schlafe im Stuhl ein. Schließlich, im Morgengrauen, fange ich an zu weinen. Wegen des heillosen Schlamassels, an dem ich schuld bin.
Bitte helft mir, bitte! Ich will es ja besser machen! Ich habe so viel gelernt in zu kurzer Zeit. Ich war blind. Kein Schock ist heilsamer als der, allein gelassen zu werden. Das öffnet einem die Augen. Mehr als alles auf der Welt, möchte ich alle diese Kinder zurückgewinnen.
Damit ich noch einmal von vorne anfangen kann.
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17
»Das darf doch nicht wahr sein! Bist du noch ganz bei Trost! Wie konntest du nur!«
»Es war erstaunlich einfach… ich weiß auch nicht. Aber beruhige dich, es wird nicht von Dauer sein. Hat er mir ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, und ich sehe das nicht anders. Das Ganze ist auf Dauer impraktikabel – aber macht Spaß!« Monica blickte bei weitem nicht so überzeugt drein, wie sie sprach. Jenny fand, daß sie eigentlich eher bedrückt als beglückt wirkt. In jeder Hinsicht eine unerfreuliche Angelegenheit.
»Impraktikabel? Was heißt hier impraktikabel? Es ist nicht fair!«
platzte sie los. »Ganz und gar nicht fair. Was glaubst du, wie dir zumute wäre – ach, entschuldige, du kennst das Gefühl ja wohl…
aber die arme Katherine! Wie kannst du einer Freundin so etwas antun! Meine Güte, wir sind nächste Woche alle bei ihnen eingeladen! Ich kann ja niemandem mehr in die Augen sehen!«
»Du kannst keinem in die Augen sehen! Was soll ich denn da sagen?«
»Falls du tatsächlich die Absicht hast, hinzugehen«, bemerkte Jenny kühl, »mußt du schon selbst sehen, wie du damit fertig wirst. Du hast dir die Suppe eingebrockt, löffel du sie auch aus. Das merkt Colin doch! Du kannst unmöglich hingehen.«
»Doch, kann ich wohl, und nein, merkt er nicht. Sei nicht so prüde, verdammt noch mal! Außerdem hast du wohl vergessen, daß sie zuerst damit angefangen hat. Meinem Mann schöne Augen zu machen… als wären die Männer gerade frisch erfunden worden!«
»Hat sie genau genommen gar nicht, Monica. Tut mir leid, daß ich das sagen muß, aber ich hatte eher den Eindruck, der Schuh saß auf dem anderen Fuß.«
»Ist mir egal, wer damit angefangen hat. Jedenfalls hatte er Lippenstift am Hemdkragen, Zigaretten in der Hosentasche, Gras in den modischen Aufschlägen seiner Hosen. Ein großer Naturfreund, unser Colin, aber derartige Souvenirs sammelt man nicht ohne jede Mit-wirkung ein. Du brauchst Katherine gar nicht zu bemitleiden, es ist 264
offenbar nicht das erstemal. Scheint eine Meisterin dieses Fachs zu sein – oder Mätresse.« Der Ton war mit einem Mal gehässig.
»Ach was,
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