Im Kinderzimmer
Stillschweigend hatte sie aufgehört, den Namen zu erwähnen, hatte ihn aus ihrem Wortschatz gestrichen.
»So ist’s recht«, sagte er gut gelaunt. »Da ist sie. Amüsiert sich kö-
niglich.«
»Es ist aber nicht wahr. Du weißt genau, wo sie ist. Nämlich hier.
Du hast mich angelogen, David.« Sie hob eine zitternde Hand und zeigte auf die stumme Tür des Erkerzimmers. Er legte ihr die Hände auf die Schultern.
»Katherine, mein Schatz, nun sei doch vernünftig. Willst du dich nicht umziehen und ein bißchen an die Luft gehen? Ins Fitneß-Center vielleicht? Oder einkaufen? Nichts Anstrengendes, meine Liebe, du bist nicht ganz auf dem Damm. Du bekommst auch ein hübsches Taschengeld, gönn dir etwas. Es liegt ein wunderschönes Ensemble 303
für dich bereit. Für morgen abend. Mein Geburtstagsgeschenk an dich.«
Katherine blickte ins Leere, die Augen auf eine unbestimmte mittlere Entfernung eingestellt, die Stirn in Verwirrung krausgezogen.
»Aber sie ist doch nicht bei der Oma. Sie ist hier, Du-weißt-schon-wer, hinter der Tür dort. Nicht bei Sophie. Wir müssen sie herausho-len. Und warum ruft Sophie gar nicht mehr an? Sie ruft nicht mehr an, wie sie das sonst immer getan hat, nicht wahr, David?«
Er senkte den Blick in einer Weise, die sie als gefährlich erkannte.
Der Druck seiner Hände war eine Warnung.
»Katherine, jetzt hör mir gut zu. Es gäbe einfach zuviel Ärger, wenn du sie herausläßt. Gefängnis und das alles. Glaub mir. Es wür-de sie keiner erkennen. Man würde dich einsperren. Wie oft muß ich dir das noch erklären?«
Katherine wich vor ihm zurück, kreuzte die Arme vor der Brust, flüsterte: »Hast du heute nachgesehen?«
Er zögerte kurz. »Ja. Nein, natürlich nicht. Warum sollte ich das tun, sei nicht albern. Es ist ganz einfach. Sie ist bei Sophie, bei ihrer Oma. Sprich es mir nach. Und dann gehst du hinaus und sagst es noch einmal. Laut. Komm, sag es. Aber so, daß ich es höre.«
»Sie ist zu Besuch bei ihrer Oma. Sie ist zu Besuch bei ihrer Oma.
Sie ist zu Besuch bei ihrer Oma.«
»Gut. Braves Mädchen. Guter Schatz. So, und nun denk an das Kleid. Ich muß mit den Vorbereitungen für morgen abend beginnen.
Du könntest mir ja auch ein Geschenk kaufen. Zum Geburtstag. Und ich mache mir einen Kuchen, mit Kerzen.« Er strahlte sie an, sein Ausdruck der der harmlos kindlichen Vorfreude eines Schuljungen, während ihr Gesicht im strahlenden Scheinwerferlicht seines Lä-
chelns erleuchtet wurde.
»Gibst du ihr auch ein Stück?«
Das Lächeln erstarb.
»Das kann ich nicht, Katherine, du weißt genau, daß ich das nicht tun kann. Wiederhole noch einmal, was ich dir gesagt habe.«
Sie rang mit sich, mit der Erinnerung, dann glättete sich ihre Stirn.
Sie hob die Hände wie zum Dirigieren eines Orchesters, schwenkte die Arme in Schulterhöhe im Takt hin und her und wiederholte be-304
dächtig: »Ich weiß, ich weiß, ich weiß. Jetzt weiß ich’s wieder. Sie ist zu Besuch bei ihrer Oma.«
»Richtig«, bestätigte er. »Goldrichtig. Und jetzt wissen wir alle Bescheid. Du bist ein braves Kind und ich liebe dich, daß es weh tut.
Wer ist ein braves Kind?«
»Ich. Sie ist zu Besuch bei ihrer Oma.«
Er tätschelte ihr leicht und neckend das Kinn. »Braves Goldmädchen. Schau, ich habe uns etwas zum Naschen mitgebracht…«
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Lobet den Herrn: Nichts bleibt, wie es ist. Ich war schon fast vom Gegenteil überzeugt, dachte, es geht nirgends hin außer bergab; und
»die Augen zu den Bergen aufzuheben« tat verdammt weh. Allerdings tut mir die Sache gestern mit diesem Weib mit der energischen Stimme, das angerufen hat, sehr leid. Ach, ich war immer schon entsetzlich unhöflich, schroff und gleichgültig, aber zu gleichen Teilen Sprit und Worte in den Hörer gluckern zu lassen, das übertraf selbst meine bisherigen Leistungen in dieser Richtung. Ich kann mich wirklich nicht dazu beglückwünschen; an mir war noch nie etwas Liebenswertes – in vino veritas , eine Nacktschnecke, ein Wurm, kreuchendes, fleuchendes Getier der übelsten Sorte. Ich hatte reichlich getankt, um mich gegen das Hereinbrechen einer weiteren Woche zu wappnen, gegen ein weiteres Stück Leben, das stiften gehen will, und ich vermißte Sebastian so sehr, daß ich nur noch hätte schreien mögen. Die Vorstellung, daß er Montagabend kommen, sich höflich verabschieden und eventuell – der Form halber und meines langen Gesichts wegen – bereiterklären würde, mich zur Party bei den Nachbarn zu
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