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Im Kinderzimmer

Im Kinderzimmer

Titel: Im Kinderzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Fyfield
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Abwehrmechanismen, mich forsch gebend, sage ich: »So, so, sieh mal an, der alberne Bengel, was stellt er denn jetzt wieder an.
    Wo, sagten Sie, stecken die beiden?« Wüßten sie auch nicht genau, meinten sie, irgendwo an der Küste, kämen aber heute noch zurück.
    Wie schwer verletzt? Wüßten sie eben nicht, könne aber nicht so wild sein, sonst würde man ihn im Krankenhaus behalten, oder nicht? Allerdings sei das Bein leider auch gebrochen, nicht nur aufgerissen, aber: »Ihr Mann hat gesagt, Sie sollen sich keine Sorgen machen, sei ja ein robustes Kerlchen und die Ärzte wüßten schon, was zu tun sei.« Ich, die ich immerhin einen gewissen Einblick in das Ausmaß der Inkompetenz in allen Berufssparten einschließlich meiner eigenen habe, bezweifelte, ob sie wüßten, was zu tun sei, bezweifelte aber keinen Augenblick lang, daß Sebastian schon die richtige Entscheidung treffen würde. Mal abgesehen davon, daß der Esel den Unfall nicht von vornherein verhindert hatte, war ich doch ganz ruhig im Wissen um die absolut vertrauenswürdige Gesellschaft, in der sich mein Sohn verletzt hatte. Sebastian ist einfach für das Sicher-stellen des Überlebens wie geschaffen. Ich entschuldigte mich und 308
    ging nach Hause, bemüht, nicht in kopfloser Panik heimzuhetzen.
    Schließlich kehrte ich ja nur dorthin zurück, um zu warten, also immer langsam! Auf unserer Straße lief mir Katherine Allendale in die Arme. Zu sagen, sie lief, ist nicht ganz korrekt: ich lief, sie, wenn ich mich recht erinnere, schleppte sich mit ihrer Tragetasche von einer Gehwegplatte zur nächsten. Beim besten Willen weiß ich nicht, wie ich es über mich brachte, anzuhalten. Vielleicht nebulöse Erinnerungen an die Schwester, den Anruf vom Abend zuvor, worum auch immer es gegangen sein mochte, Erinnerungen an eine Reihe anderer Dinge, darunter meine mir abhanden gekommenen Manieren, das reichte wohl, um lange genug zu zögern, daß ich sie ansprach. »Wie geht es denn, Katherine?« Da waren doch auch Kinder, ich hatte nur Kinder im Kopf. »Und den Kindern?« Nicht, daß es mich wirklich interessierte, aber dieses eine Mal wollte ich wenigstens nachgefragt haben.
    Sie hat es mindestens dreimal wiederholt: »Alles bestens. Stell dir vor, Jeanetta ist zu Besuch bei ihrer Oma.«
    »Ist ja gut, ich habe verstanden, wie schön für die beiden.« Ja, ja, das sei es, meinte sie. »Und wohin gehst du?« zwang mich die gleiche Höflichkeit – und der Wunsch, den Erhalt weiterer schlechter Nachrichten hinauszuschieben – zu fragen. »Ich bin auf dem Weg ins Fitneß-Center«, erklärte sie. Ich sah sie an und vergaß, daß sie eine Diebin, eine Rivalin, eine elegante und bedauernswert beschränkte Nachbarin war, deren Mann mir mal gut gefallen hatte und dessen Haus Sebastian mit Neid erfüllte, und dachte: ob sie nicht doch ein bißchen meschugge ist? Ihren Wespenkörper zur weiteren Trimmung in diese Folterkammer zu schleppen. »Bis morgen«, verabschiedete sie sich. »Morgen?« fragte ich verdattert. »Davids Geburtstag«, erinnerte sie mich, »zum Essen.« Das »O nein!« konnte ich mir gerade noch verkneifen.
    Nichts bleibt, wie es ist. Wir hatten uns alle immer guter Gesundheit erfreut in meiner Familie, das heißt, nicht einmal darüber nach-gedacht, daß Gesundheit etwas ist, dessen man sich erfreuen kann; es handelte sich vielmehr um eine Selbstverständlichkeit, die durch nichts in Frage gestellt wurde, ebensowenig wie das Vorhandensein von Geld, Besitz und so weiter, eine gedankenlose Annahme, das es 309
    immer so bleiben würde. Unsere Kinder erlitten ebensowenig wie wir Kinder unserer Eltern ernsthafte Verletzungen, mal abgesehen von Schrammen und dergleichen. Ich nahm daher völlig naiv an, das sei nicht anders zu erwarten. Als ich aber dann in meinem Arbeitszimmer wie auf heißen Kohlen saß und auf die Heimkehr der Ver-wundeten wartete, bewunderte ich die Unbekümmertheit meines soldatischen Vaters, wünschte mir im nachherein, daß auch ich mal Blut gesehen hätte und nun sagen könnte: »Na was denn, nur ein Kratzer! Indianer kennen keinen Schmerz!« Ich habe jedes einzelne Krankenhaus an der Ostküste im Umkreis der mir nur ungefähr bekannten Region angerufen, in die sie gefahren waren. Nach fünf Nie-ten gab ich es auf. Hatte mir wirklich keiner gesagt, wohin sie fahren wollten, oder hatte ich nicht zugehört? Das zog die Erkenntnis nach sich, daß mir grundsätzlich nie jemand die volle Wahrheit sagte.
    Vielleicht verheimlichten sie

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