Im Kinderzimmer
eine Gutenachtgeschichte vor; Mark soll selber lesen. Also ehrlich, eigentlich müßte Sebastian solche Pflichten stärker übernehmen, auch wenn er an den Wochenenden doppelte Pflichten übernimmt und dafür von den Kindern abgöttisch geliebt wird, was ich sehr, sehr ärgerlich finde. Wenn er doch nur mal etwas frü-
her nach Hause käme, wenigstens ab und zu mal, das sollte man doch erwarten können. Obwohl: Meist ist es doch einfacher, seine Existenz nicht zur Kenntnis zu nehmen, und der Kerl muß immer etwas zu essen haben, während mir der Alkohol vollauf genügt. Einen Drink noch, einen anständigen, dann höre ich auf. Oder auch nicht.
Das leibliche Wohl zählt in diesem Haus ohnehin nicht viel, da ich selten Lust auf mehr als ein Sandwich verspüre und aufs Kochen gar nicht, während Sebastian sich quasi mit einer Art Wegzehrung nach Art ägyptischer Wandervölker abgefunden hat und vermutlich auch Heuschrecken auf Toast nicht verschmähen würde. Gut möglich, daß er es lieber anders hätte, aber das ist sein verdammtes Pech. Der Gin stärkt mich ungemein, manchmal verstärkt er auch die schlechte 52
Laune, wenn ich sie habe – und die habe ich jetzt, wenn ich’s recht bedenke. In der Ecke rumort die Waschmaschine und verbreitet dieses nervensägende Haushaltsgeräusch, das mich noch ungnädiger stimmt. Wobei mir wieder einfällt…
Zum Kuckuck mit Katherine Allendale! Was fällt der ein, ihre Jeanetta unter meinem Dach abzuliefern, damit sie im Schlafanzug meines Sohnes herumläuft? Als hätten die nicht genug Geld, nebenan!
Schwimmen doch darin, obwohl es sich nicht schickt, so etwas zu sagen. Zwar bin ich auch der Ansicht, daß gerade Kindersachen die reinste Geldverschwendung sind, aber ist es denn wirklich zuviel verlangt, daß sie mal ins nächste Kaufhaus geht? Muß ja nicht gleich Harrods sein. Zugegeben, ich mag eine etwas distanzierte Mutter sein, ich halte eben nichts von diesem ganzen Geseier über Mutter-Kind-Bindung und Kinder ins eigene Bett lassen, aber immerhin merke ich, wann meine Kinder neue Kleider brauchen – weil es mir im Zweifelsfall jemand sagt.
Also gut. Oben ist alles ruhig, dann werde ich mal gleich nach nebenan gehen und die Sache klären, verschiebe nicht auf morgen und so weiter. Die Kinder kann ich ja wohl einen Augenblick mal allein lassen. Marks Schlafanzug, haste Töne! Glaubt sie denn, die wachsen bei uns auf den Bäumen?
Draußen auf der Straße wirkt alles größer, und gestochen scharf, als ich mich von den Stufen hochrapple, über die ich gestolpert bin.
Permanent falle ich über diese verdammten Stufen! Hoppla! Sieht alles so abweisend aus, groß und unpersönlich, trostlos, die dreiunddreißig Häuser an der Straße. Mann, Mann, die Gedanken geraten doch ein wenig außer Kontrolle nach einem Drink oder vier. Kaum steh ich an der frischen Luft, schwirrt mir der Kopf. Gehe jetzt die paar Schritte zu ihrer Haustür; hoffentlich habe ich keine Fahne.
Hoppla, schon wieder. Guck dir bloß die Häuser da gegenüber an, so verschlossen, die Fenster wie müde Augenlider, die immer wieder zufallen. Wir sind auf die vermaledeiten Allendales angewiesen – als gelegentliche Partygäste – und sie auf Marks Schlafanzug… scht!…
so furchtbar still. Zum Frösteln. Als wäre alles gelaufen bis morgen früh. Weiß verputzte Häuser, verneigen sich ein letztes Mal, hoheitsvoll, heiligenscheinschimmernd, gute Nacht, gute Nacht, dichtes 53
Laub vor weißen Häuserhemdbrüsten, aus dem klebriger Tau auf die Autos tröpfelt. Ein Blatt könnte man fallen hören, so still ist es. Und keine menschliche Stimme. Bißchen ernüchternd, oder? Alles so viel gewaltiger als vom Fenster aus. Bewege mich eben nicht gern parter-re.
Da wären wir. Bei uns ist das Erdgeschoß angehoben, bei uns kann man nicht hineinsehen, was mir ganz recht ist. Das Allendale-Grundstück liegt höher als das unsere. Die Küche befindet sich auf der Straßenseite, und zwar fast auf gleicher Höhe, so daß man vollen Einblick hat. Vielleicht Absicht, wer weiß, damit man den Raum auch gebührend bewundert, was ich jetzt tue, Raum wie Inventar, wie Personen. Die beiden speisen an ihrem edlen Tisch. Sie sitzen sich gegenüber, auf dem Tisch Geschirr, das aus dieser Entfernung verdächtig nach Crown-Derby aussieht, in der Mitte eine ausladende, vollendet schöne Salatschüssel, sie essen mit Andacht. Sie schimmert ähnlich kostbar wie die Küchenkulisse, mit ihrer lässigen Eleganz und dieser bleichen,
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