Im Kinderzimmer
Allendales wohl ihre Jeanetta schicken wollen? Höchste Zeit, wenn ich’s mir genau überlege, sie muß bald fünf sein, wirkt aber älter, stämmig wie sie ist. Bin nicht direkt erpicht darauf, daß sie alle miteinander auf dieselbe Schule gehen. Ich meine, jetzt ist das alles noch gut und schön, aber später… Verdammt, ich habe das Tonic unten vergessen. Sollte es mir gleich hier oben hinstellen. Sebastian und ich haben je ein eigenes Arbeitszimmer, wegen der Unabhängigkeit. Allerdings habe ich nicht die geringste Ahnung, was er in seinem treibt, möcht’s auch gar nicht wissen. Seins liegt nach hinten raus, mit einem kleinen Fenster.
Ich bin vorne, zum einen, damit ich nichts vom Tohuwabohu bei Harrisons mitkriege, die ganzen Märchen und Kinderlieder, zum anderen habe ich mir das größere Zimmer ausbedungen, damit ich hin und her gehen und hin und wieder aus dem Fenster schauen und beobachten kann, was auf der Straße vor sich geht. Nicht viel, in der Regel. Es stehen dreiunddreißig Häuser an der Straße, rund vierzig einen halben Meter voneinander geparkte Wagen, das heißt die Stra-
ße müßte etwa zweihundert Meter lang sein, nee, das kann nicht stimmen… Ich muß mit der Rechnerei aufhören, ein richtiger Tick.
Gelegentlich hänge ich mich, auf die Ellbogen gestützt, voll ins Fenster, glotze und gebe mich den unsinnigsten Betrachtungen hin: wie 46
der, was für einen sonderbaren Keller die Allendales doch haben. Er liegt höher als der unsrige, mit ähnlich vergitterten Fenstern, beher-bergt aber keine Souterrainwohnung, wie die, welche unsere guten Harrisons bewohnen, sondern nur Vorratsräume und einen Hobby-keller, soweit ich weiß, und wenn ich nicht mit dem Gaffen aufhöre, werden die Leute noch glauben, ich tick nicht mehr ganz richtig, nicht, daß ich einen Pfifferling auf das gäbe, was die Leute denken.
Leute sind doch allesamt entweder beschränkt oder langweilig. Meistens jedenfalls.
Lirum, larum, Leier; die Butter, die ist teuer… haben die Kinder vorhin im Garten im Chor gesungen. Allerdings ist sie teuer und wird immer teurer. Ach, wenn ich mir doch nur die Zahlen aus dem Kopf schlagen könnte. Da, wie gerufen: Schritte auf der Treppe, Klopfen an der Tür. Als Treppenbesteiger am Röcheln unschwer zu erkennen: der alte Harrison. Denn das Arbeitstier Sebastian läßt sich in diesem Haus selten vor neun Uhr abends blicken, und auch dann macht er den Eindruck einer vom Tageslicht überraschten Fledermaus, benommen und wortkarg. »Herein«, brülle ich und bin froh, am Schreibtisch und nicht am Fenster erwischt zu werden, lasse schnell den Gin verschwinden, warte auf das umständliche Öffnen der Tür.
Und dann stehen sie vor mir im Türrahmen, ein Bild für die Götter: Harrison und Hund, beide gleich hinfällig.
»Guten Abend, Mrs. Pearson. Eileen hat die ganze Bande unten in der Küche. Bettgehzeit.«
»Aber es ist doch erst halb sieben.«
»Ja, Fernsehzeit«, meint er hartnäckig, der Wink mit dem Zaunpfahl. Der Hund wackelt auf mich zu, schafft ganze fünf Schritte ohne sich hinzusetzen.
»Sie wollen sagen, Zeit, daß Sie die Meute vom Hals haben?«
Er tritt von einem Fuß auf den anderen. Genau das meint er, der arme alte Harrison, fünffacher Großvater, der sich nicht hätte träumen lassen, daß er in seinem Alter in einem Keller landen würde, was er ein wenig als Schande empfindet, umgeben von anderer Leute Kinder, aber er sitzt in der Falle, wird so bald nichts mit dem Ruhe-stand, denn es gibt niemanden, der ihm die Hausmeisterpflichten abnehmen würde, und ich tue es bestimmt nicht. Hausarbeit lang-47
weilt mich zu Tode, und ich habe mir nicht im Schweiße meines Angesichts eine Karriere aufgebaut, um dann Töpfe zu schrubben und Kindermädchen zu spielen. Er scharrt verlegen mit den Füßen, lächelt blöde.
»So habe ich das nicht gemeint, Mrs. Pearson. Aber Eileen hätte Sie gern einen Moment gesprochen.« O Gott, ich hätte drauf wetten können.
Also treppab, ich a tempo, Harrison in standesgemäßer Zeitlupe –
als Prophylaxe gegen die Annahme, er könne auch schneller gehen –, Hund asthmatisch hintendrein. Dort in der Küche, erstaunlich rosig, sauber und entzückt, mich zu sehen: meine Kinder, in den Startlö-
chern quasi.
»Mama, Mama, Mama… guck mal!«
Die vierjährige Samantha hopst im roten Schlafanzug vom Tisch auf einen Stuhl, Yoghurtbecher zwischen den Zähnen, Rand gegen die Nasenspitze geklappt, auf welches Kunststückchen sie ebenso
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