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Im Kinderzimmer

Im Kinderzimmer

Titel: Im Kinderzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Fyfield
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die es taten. Dann gab es da noch die Kindermädchen und die Kinder und Zufallspas-santen, die irgendwohin gingen. Aus dem Augenwinkel erspähte sie jetzt Mr. Mills, der soeben um die Ecke bog und von links gemächlich auf sie zugeschlendert kam, als hätte er alle Zeit der Welt.
    Na ja, bei dem Wetter, dachte sie großzügig, warum sollte er sich da beeilen, er hatte das, was man Gleitzeit nannte, jedenfalls hatte er ihr das gesagt – ein komisches Wort für ständiges Zuspätkommen.
    Redete auch komisch, Mr. Mills. Einmal hatte er gesagt, diese Strek-ke wäre sein »Spaziergang durch die Zivilisation«, der einzige Moment des Tages, an dem er sie zu Gesicht bekam. Aha? Na ja, er war ja sonst ganz nett, der Kerl, und sie unterhielt sich mit allen gern, egal was für ’n Blech die redeten.
    Die Kleider, die er trug, waren so daneben wie sein Geschwätz. Er trug immer dicke Cordhosen, sommers wie winters, das einzige Zugeständnis an die Jahreszeit waren seine Sandalen und die schmuddelig weißen Socken, ein Anblick, der Mrs. Harrison über alle Ma-
    ßen ärgerte. Der Oberkörper steckte in einem zerknitterten indischen Baumwollhemd, meist das von gestern und vorgestern, das Gesicht war bedeckt von spärlichem, ungepflegtem Barthaar, über das Mrs.
    Harrison am liebsten mit einer Schere hergefallen wäre, weil es so schien, als habe er einfach vergessen, sich zu rasieren. Zu allem Überfluß trug der Mensch dann auch noch eine runde Nickelbrille von der Art, wie sie Harrison seit Jahren verschmähte. Also ehrlich.
    »Tag, Mr. Mills«, rief sie ihm zu, als er auf gleicher Höhe angelangt war. »Lange nicht gesehen. Urlaub gehabt?«
    Er blieb überrascht stehen, in Gedanken offensichtlich ganz woanders. Oder vielleicht gehörte er zu denen, die einer Unterhaltung am Morgen abgeneigt waren. Wenn ja, dann war das sein Pech, denn zu 71
    denen zählte sie nicht. Er nahm eine für John Mills ungewöhnliche Haltung ein, mit überkreuzten Füßen, auf den Außenkanten der Schuhe balancierend mit zusammengepreßten Knien, Hände in den Hosentaschen, den mageren Oberkörper vorgebeugt, bereit, davonzu-flattern wie ein aufgeschreckter Vogel.
    »Nie im Leben«, wehrte er ab. »Urlaub? Was ist denn das? Wir als arbeitende Bevölkerung, Mrs. Harrison…«
    Sie lachte. »Sie vielleicht. Dachte schon, Sie wär’n ganz weg.«
    »Leider nein. War zur Fortbildung, ein paar Tage nur. Jetzt hat mich die alte Tretmühle wieder.«
    »Sie Ärmster. Kümmern sich immer noch um die armen kleinen Würmer, wie?« Sie hatte die vage Vorstellung, daß er mit Kindern zu tun hatte, irgend so etwas hatte er doch gesagt, und in ihren Augen entsprach er mit seiner weibischen Art durchaus dem Bild eines Lehrers oder so etwas, die sie durchweg für schwul hielt, die Männer jedenfalls. Oder er arbeitete für die Gemeinde, war auch denkbar, bei dem ewigen Gerede von Politik. Die Vorstellung, daß er für derlei bezahlt wurde! Das war doch nicht normal, so etwas. Noch nie waren Dinge, wie die, die er ihr vordozierte, Mrs. Harrison zu Ohren gekommen, sie fühlte sich in gewisser Weise geschmeichelt, wenn sie sie auch leicht anrüchig fand.
    »Sie sind Haushälterin«, hatte er nach kaum zehn Minuten bei ihrem ersten Gespräch festgestellt, »während die das alles besitzen.«
    Er hatte wild mit den Armen gestikuliert. Das war vor einem halben Jahr gewesen, im Winter – da hatte sie weniger zu tun als im Sommer. »Und wahrscheinlich ein Zweithaus, vermute ich. Eine Schande, sage ich Ihnen. Keiner sollte soviel Besitz anhäufen dürfen.«
    »Und wieso nicht?«
    »Es ist ein Verbrechen, deshalb. Es sollte eine gerechte Verteilung geben. Sehen Sie doch nur: In dem Haus könnten leicht vier Familien wohnen. Dort wo ich arbeite, kommen vier auf einen Raum.«
    »So, so«, hatte sie erwidert, etwas gekränkt durch die abschätzige Sicht ihrer Arbeitgeber, die sie selbst als Mitschuldige einzubeziehen schien. »Reden Sie denen aber bloß nich ein, hier wär noch Platz, kapiert?«
    »Vielleicht tu ich’s doch«, meinte er düster prophetisch.

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    »Könnte die Hälfte meiner Leutchen zur Hausbesetzung hier in die Straße bringen.«
    »Ts, ts«, hatte Mrs. Harrison kopfschüttelnd gelacht. »Die Welt ist nun einmal ungerecht, Mr. Mills. Glauben Sie ja nicht, daß Sie daran etwas ändern könnten. Wenn Sie sich das einbilden, dann drehen Sie noch durch.«
    In letzter Zeit, vor allem, wenn er durch diese ganz andere Welt von Bayswater ging, fragte er sich im

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