Im Königreich der Frommen (German Edition)
irdische
Strafen. Die Zeitungen in Arabisch, aber nicht in Englisch waren
voll mit Drohungen. Mitarbeiter der Sicherheitskräfte riefen
ihre Verwandte und Freunde an und warnten, sie hätten den
Schießbefehl bekommen. Abdulaziz, aber auch andere Studenten,
zeigten mir eine SMS-Nachricht, die weite Verbreitung im Königreich
fand. Jedem, der demonstrierte, versprach sie Geld- und
Gefängnisstrafen, sowie die Deportation aus Saudi Arabien,
sollte man/frau dabei erwischt werden, Proteste zu fotografieren
oder gar zu filmen. „Stell dir vor, du darfst vier Jahre nicht
mehr nach Saudi Arabien zurückkehren“, sagte Abdulaziz,
als sei das der schlimmste Gedanke, den man sich vorstellen kann.
Jetzt konnte der „Tag der Wut“ kommen.
Und er kam an einem
Freitag, dem islamischen Sonntag. Die ersten Meldungen des Tages
kamen jedoch nicht aus der Hauptstadt, sondern aus der Ost-Provinz,
am Persischen Golf. Dort lebt eine große schiitische
Minderheit. In dieser Region liegen auch Saudi Arabiens Ölvorkommen.
In Qatif, einer der
Hochburgen der Schiiten, hatten die Sicherheitskräfte am Abend
zuvor auf eine Demonstration geschossen. Allein ein kurzer,
skizzenhafter Bericht davon am Morgen reichte aus, um den Ölpreis
in die Höhe zucken zu lassen.
Riad dagegen
erschien ruhig. Ich blieb zuhause, verfolgte die Nachrichten und
telefonierte mit Augenzeugen der Demonstration in der Ost-Provinz.
Erst am frühen Nachmittag nahm ich mir ein Taxi und fuhr in die
Stadt.
Dann begann das
absurde Theater, der „Tag der Wut“, der nicht war. Wo
sich die Wütenden versammeln sollten, wusste niemand so genau.
Die meisten tippten auf die kleinen Straßen zwischen König
Fahd Straße und Olaya Straße. Dort ließ ich den
Taxifahrer ein bisschen herumfahren. Er war sichtlich nervös.
Er beschwerte sich, dass ich genau jetzt dort hinfahren wollte,
obwohl doch jeder wisse, dass dort alles abgesperrt sei. Er fragte,
wo genau ich denn hinwollte. Damit er keinen Verdacht schöpfte,
gab ich ihm eine Adresse in der Olaya Straße und tat dann so,
als könnte ich das Haus nicht finden.
Die Straßen
zwischen den Häuserschluchten waren wie ausgestorben. Es war
niemand auf den Straßen zu sehen – außer der
Polizei. An vielen Kreuzungen parkten Streifenwagen, schön in
einer Reihe, entlang der Straße, so viele wirklich, dass
Demonstranten kaum Platz gefunden hätten. An einer Kreuzung
zählte ich allein achtzehn Polizeifahrzeuge. In der Luft
schwebte ein Hubschrauber der Sicherheitskräfte. „Das
wäre Selbstmord gewesen, da raus zu gehen“, sagte einer
von Abdulaziz' Kommilitonen am nächsten Tag.
Irgendwo ganz in
der Nähe, wahrscheinlich etwa um diese Zeit, muss es gewesen
sein, als sich die einzigen fünf Minuten der Wut abspielten,
die es in Riad an diesem Tag zu begutachten gab. In Erwartung von
Massenprotesten im Königreich waren einige ausländische
Journalisten nach Riad gekommen. Allein: Sie konnten keine Proteste
finden. Immer in Begleitung der Sicherheitskräfte kreuzten sie
durch die Stadt und suchten nach Wütenden. Da es aber keine
gab, erregten sie mehr Aufmerksamkeit als die nicht anwesenden
Demonstranten. Schließlich erbarmte sich ein Grundschullehrer
namens Khaled Al Johani und ließ seine Wut raus. Nachdem er
zwei Mal an dem Pulk ausländischer Journalisten vorbeigelaufen
und von den Sicherheitskräften weggeschickt worden war, fasste
sich der 40-jährige ein Herz und zog vor der laufenden Kamera
eines BBC-Fernsehteams vom Leder.
Saudi Arabien,
klärte er die erstaunten Journalisten auf, sei nichts anderes
als ein „großes Gefängnis“: „Ich bin
hier, um klarzustellen, dass wir Demokratie brauchen, dass wir
Freiheit brauchen.“ Und er war noch nicht fertig. „Wir
müssen frei sprechen. Wir gehören nicht der Regierung. Ich
hatte Angst öffentlich zu sprechen, aber jetzt nicht mehr. Wir
haben keine Menschenwürde. Wir haben keine Gerechtigkeit.“
Eine
BBC-Journalistin begleitete den Grundschullehrer zu seinem Auto. Sie
bat ihn um seine Telefonnummer. Sie wolle ihn morgen anrufen. Er
aber versicherte ihr, dass er am nächsten Tag nicht mehr zu
erreichen sein werde, weil er dann längst festgenommen sei.
In weniger als
zwanzig Minuten, nachdem der Grundschullehrer zuhause angekommen
war, war die Polizei da. Das sagte mir sein Bruder. Sie nahm den
Wütenden gleich mit und steckte ihn fast ein Jahr ins
Gefängnis. Fast zwei Monate lang, sagte sein Bruder, hatte
seine Familie keinen Zugang zu ihm. Inzwischen ist
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