Im Königreich der Frommen (German Edition)
der Lehrer wieder
auf freiem Fuß, aber die Anklage gegen ihn ist nur ausgesetzt.
Nach der
Ausstrahlung seiner Philippika im BBC-Fernsehen wurde Khaled Al
Johani eine Internet-Berühmtheit. Jemand stellte das Video
seiner Brandrede auf „Youtube“. In einem amerikanischen
Nachrichtenartikel wurde er „der mutigste Mann Saudi Arabiens“
genannt. Das war die Wut in Riad.
Dennoch konnte man,
nachdem der „Tag der Wut“ in Riad flachgefallen war,
deutlich das Aufatmen der Königsfamilie vernehmen. Die von den
Al Saud kontrollierte Presse jubilierte. Firmen schalteten
ganzseitige Anzeigen, in denen sie in speichelleckerischen Formeln
den König ihrer Loyalität versicherten.
Eine Woche nach dem
flachen Tag dankte der König in einer Fernsehansprache seinen
Untertanen für ihre Loyalität und verteilte Sozialausgaben
im Wert von mehr als €70 Milliarden. Schon bei seiner Rückkehr
nach Riad hatte er Geschenke von fast €30 Milliarden ausgelobt.
Wegen des hohen Weltmarktpreises für Erdöl konnte Saudi
Arabien damals auf Währungsreserven von mehr als $400
Milliarden zurückgreifen.
Die Geschenke an
die Bevölkerung schlossen die erste Arbeitslosenhilfe des
Landes ein, Subventionen für 500.000 Eigenheime und einen
Mindestlohn für alle Staatsangestellten. Die bekamen außerdem
zwei Monatslöhne geschenkt. Viele Firmen im privaten Sektor
folgten dem Beispiel und lobten ebenfalls zwei Monatslöhne für
ihre Beschäftigten aus.
Die Zahlungen waren
so hoch, dass die Geldmenge im Königreich um ein Vielfaches
anstieg. Viele Saudis beschwerten sich danach, dass die Läden
und Restaurants die Preise anhoben, um etwas von dem Geldfluss in
ihre Kassen umzuleiten.
Abdulaziz bekam
zwei zusätzliche Monatsraten seines Stipendiums und war es
zufrieden. Den Vorwurf, dass der König vorhatte seine
Untertanen zu kaufen, wollte er aber nicht gelten lassen: „Er
liebt sein Volk und wir lieben ihn. Er braucht uns nicht zu kaufen.“
Als eine Art
Nachwort auf die ausgebliebene Wut hielt Prinz Salman Ende März
an der Universität von Medina eine Rede. Als Gouverneur von
Riad gehörte er schon damals zum engsten Kreis des
Königshauses. Im Herbst 2012 wurde er saudischer Kronprinz und
damit designierter Nachfolger des Königs.
Niemand hatte Prinz
Salman danach gefragt, aber die Frage stand natürlich im Raum:
Warum König Abdullah, der 2005 als erklärter Reformer den
Thron bestiegen hatte, sich nun so auf das Althergebrachte stützte?
„ Die
saudische Regierung ist die Fortführung des ersten islamischen
Staates in Medina“, sagte Prinz Salman. „Und die
Verfassung des Landes fußt auf dem Koran und der islamischen
Tradition.“ Das „perfekte System“ hatte den Test
bestanden.
Abdulaziz ging zum
Alltag über. Ein paar Feinde des Königshauses hatten
versucht, die Saudis zur Rebellion anzustiften, aber die hatten
sich, charakterfest und gläubig wie sie waren, nicht vom
rechten Pfad abbringen lassen. Für Abdulaziz war die Welt
wieder in Ordnung.
Für mich
allerdings war sie es nicht. Für mich haben die Wochen vor und
nach dem geplanten „Tag der Wut“ mehr Fragen über
Abdulaziz und das Königreich insgesamt aufgeworfen, als sie
beantwortet haben. Nun sah ich Abdulaziz in einem neuen Licht. Davor
hatte ich in ihm einen höflichen jungen Mann gesehen, wie ich
ihn auch aus dem Westen kannte. Danach war ich nicht mehr so sicher.
Vor allem fragte
ich mich, wie er die verschiedenen, sich für mich
widersprechenden Ideen in seinem Kopf zusammenbrachte. Natürlich
war mir klar, er war sehr gläubig. Egal wo wir waren, ob im
Fußball-Stadion oder in einer Ladenpassage, wenn die Zeit des
Gebetes kam, stellte sich Abdulaziz selbstbewusst an die Spitze der
Gläubigen, um den Rhythmus des Gebetes vorzugeben. Für
mich schien er in seinem Glauben zu ruhen. Er stand morgens um fünf
auf und betete das Morgengebet. Dann schlief er eine Stunde, bevor
er zur Uni ging. Viele junge Saudis lassen das Morgengebet ausfallen
oder beten es, wenn sie aufstehen.
Die andere Seite an
Abdulaziz, die ich nicht verstand, war jedoch, wie er die
verschiedenen Vorstellungen, die er vom Westen und vor allem von
Amerika hatte, in seiner Person zusammenbrachte. Einerseits lernte
er Englisch und wollte nach seinem Bachelor in den USA studieren.
Von mir wollte er wissen, welche Universitäten ich empfehlen
konnte und welche Studiengänge. Er heischte um meine
Anerkennung und Freundschaft. Mit Genugtuung erzählte er mir
von einem Amerikaner, der ihm
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