Im Königreich der Frommen (German Edition)
gesagt habe, es gefalle ihm so gut im
Königreich, dass er nicht mehr in sein Heimatland zurückkehren
wolle. Er legte mir die Hand auf den Arm, als er das erzählte,
als wäre das das größtmögliche Kompliment, das
das Königreich bekommen konnte, so als sei das mehr Wert als
die Tatsache, dass die Saudis mit ihrem Land zufrieden waren.
Andererseits sagte
Abdulaziz: „Wenn Gott es will, werden wir Amerika besiegen.“
Aber auch darin
erschien mir Abdulaziz typisch. Was für ihn galt, galt im
Großen für das ganze Königreich. Das gesamte Land
muss diese fast schizophrene Leistung vollbringen, diese
verschiedenen Vorstellungen zusammen zu bringen und nicht daran zu
zerbrechen.
Einerseits sind die
USA der wichtigste Verbündete des Königreiches und das
große Vorbild für die Organisation des Landes in fast
jeder Hinsicht: für das Schulsystem, das der Universitäten,
des Gesundheitssystems und der Armee. Aber auf der anderen Seite
sind die USA verhasst für ihr Bündnis mit Israel und
gelten als Bastion der Ungläubigen. Widersprüche über
Widersprüche, die ich nicht miteinander vereinen konnte, aber
Abdulaziz und viele andere im Königreich schon.
Da ich Abdulaziz'
Klasse im nächsten Semester nicht mehr unterrichtete, verlor
ich ihn aus den Augen. Einmal gingen wir zusammen Kleider einkaufen
und anschließend mit seinen Freunden gebratenes Huhn und Reis
essen. Ab und zu traf ich ihn in der Mensa. Ich sagte ihm, er solle
mich anrufen, aber dann hörte ich eine Weile nichts von ihm.
An einem Mittwoch
Nachmittag, dem saudischen Tag vor dem Wochenende, rief er mich
plötzlich an und fragte, ob wir uns treffen könnten. Was
hatte er vor? Essen gehen oder einkaufen? Er wollte nicht mit der
Sprache herausrücken. Das würde ich schon sehen, sagte er
nur.
Ich hatte nichts
vor. Zwei lange, ereignislose Tage lagen vor mir. Oft bekam ich
durch meine Studenten Einblick in das alltägliche saudische
Leben, das mir sonst so verschlossen blieb. Also sagte ich zu. Wie
konnte ich ahnen, dass Abdulaziz Amok laufen würde.
Abdulaziz holte
mich wie immer zuhause ab. Auf dem Beifahrersitz seines großen
amerikanischen Wagens saß diesmal jedoch ein kleiner Mann.
Sein Bart war so voll und sein Gesicht so getränkt mit
unirdischer Entrücktheit, dass es fast alterslos erschien. Er
konnte Ende dreißig sein oder schon Mitte fünfzig. Den
Schemagh trug er nur lose über den Kopf geworfen. Das ist nie
ein gutes Zeichen. Traditionell tragen die Saudis das rot-weiße
Tuch mit einem schwarzen Ring, dem Agal, auf dem Kopf fixiert. Aber
die richtigen Gläubigen verzichten ganz gerne auf diese Kordel
und lassen das Tuch im Wüstenwind wehen.
Abdulaziz stellte
mir den Mann als den Imam seiner Moschee vor. Ich weiß nicht
mehr, ob Abdulaziz das sagte oder ob ich das nur daraus schloss, wie
er sich gegenüber dem Imam verhielt, auf jeden Fall war mir
bald klar, der Imam war Abdulaziz' Lehrer und er sein gelehriger
Schüler, auf dem die großen Hoffnungen des Älteren
ruhten.
Der kleine Mann war
sehr freundlich. Er stellte mir die üblichen Fragen, wo ich
herkam, was ich in Riad tat, und reagierte auf all meine Antworten
mit einem würdevollen Neigen des Kopfes – so als heiße
er meine Antworten gut, so als bestand ich den Test.
Abdulaziz wollte
immer noch nicht rausrücken, wohin wir fuhren. Er sagte nur:
„Jetzt warte doch mal. Es ist eine Überraschung.“
Etwas hinter dem
Verteidigungsministerium bogen wir von der Stadtautobahn in eine
Seitenstraße ab. Schon dort stauten sich die Autos. Die einen
kamen von einem überfüllten Parkplatz. Die anderen wollten
dort hin. Familienväter parkten ihre Autos oder holten sie ab,
um ihre Familien am Ausgang des Parkplatzes abzuholen.
Aha, wir gehen zu
einer Kirmes, zu so einer Art Volksfest, dachte ich. Da sehe ich
mal, wie so etwas bei den Saudis läuft. Das sagte ich
Abdulaziz. Er sagte nur: „Ja“.
Wir gingen
tatsächlich zu einer Art Kirmes, aber Kirmes auf Saudisch eben.
Etwa fünfzig Meter vom Parkplatz entfernt kamen wir zu einer
Wiese, etwa so groß wie ein Fußballfeld, auf der
vielleicht 200 Männer saßen. So wie sie aussahen, kamen
die meisten von ihnen aus Südasien. Was sie hierher geführt
hatte, wusste ich nicht.
Auf einem Weg um
die Wiese herum spazierten saudische Familien, Männer und Darth
Vaders mit ihren Kindern. Sie schienen sich ganz gut zu amüsieren.
Das war ihr Spaß am Feierabend.
Die Männer auf
der Wiese richteten ihren Blick auf eine Bühne an
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