Im Königreich der Frommen (German Edition)
Saudis
inzwischen so oft die Revolution im Internet proben, glauben einige
Beobachter schon, ein radikaler Wechsel stehe im Königreich
unmittelbar bevor. Aber das ist zu voreilig, denn das Internet ist
nicht ausschließlich für das liberale Lager reserviert.
Die Religiösen schlafen nicht. Diejenigen, die die meisten
Twitter-Anhänger haben, sind konservative Imame – sie
haben Leser in Millionenhöhe –, so dass der Vorsprung
auch dort wieder dahin ist.
Bader vertiefte
sich so gut wie nie in seinen Blackberry. Er schien mir reifer als
die anderen Studenten. Er sah auch etwas älter aus als die
anderen und er hatte eine sehr helle Haut. Hätte er nicht einen
spitzen Bart am Kinn getragen, vom Aussehen her hätte er gut
und gerne ein Mitteleuropäer sein können.
Bader fiel auch
sonst aus dem Rahmen. In einer Pause erzählte er, er habe einen
Nebenjob als Kassierer in einem großen Supermarkt. Kassierer –
das war gerade noch akzeptabel in der Ständeordnung, welchen
Job ein Saudi machte und welchen nicht. Die Positionen hinter den
Fleisch-, Fisch- und Käsetheken im Supermarkt und die der
Handlanger, die die Regale füllten, waren es aber nicht mehr.
Die mussten mit Indern oder Pakistanis oder den Hilfskräften
aus den anderen Dritte Welt-Ländern besetzt werden. Selbst den
Job als Kassierer in einem Supermarkt hätten viele meiner
Studenten nicht angenommen.
Diese inoffizielle,
nirgends nachzulesende Ständeordnung sah ich nicht nur überall
in den Firmen und Geschäften um mich herum, ich hatte auch eine
ziemlich genaue Vorstellung von ihr, weil ich sie von meinen
Studenten immer wieder erklärt bekam.
Personalisiertes
Sprechen (PS) ist eine Technik, die im Fremdsprachenunterricht
häufig angewandt wird. Studenten sollen über ihr eigenes
Leben, über ihre eigene Situation sprechen. Damit sind sie
vertraut. Es erspart ihnen über ein Thema rumzudrucksen, das
sie selbst in ihrer Muttersprache nur schwer kohärent
bewältigen könnten. Das PS sollte ihnen leicht fallen,
zumindest leichter als über ein abstraktes Thema zu sprechen.
Vor allem bei Studenten auf niedrigen Lernstufen, und das waren
meine, war das Personalisierte Sprechen unerlässlich.
Was hatten meine
Studenten am Wochenende gemacht? – Vergangenheit. Was waren
ihre beruflichen Pläne? – Zukunft. Ich musste immer
wieder nach Themen suchen, über die wir noch nicht gesprochen
hatten, damit meine Studenten nicht sagen konnten, aber, Lehrer, das
hatten wir doch schon.
Dabei ließ es
sich gar nicht vermeiden, dass ich, quasi als Nebenprodukt, viel
über den Alltag meiner Studenten erfuhr. Manchmal erfuhr ich
dadurch allerdings auch mehr darüber, als mir lieb war. Denn
manchmal ließ mich das Leben meiner Studenten schaudern.
Dann konnte es aber
auch wieder sein, dass mich die Neugier packte. Ich musste das
Gespräch am Laufen halten – wie, war eigentlich egal,
solange ich die Studenten zum Sprechen brachte. Das tat ich, aber
manchmal war es dann auch schwer zu entscheiden, ob mich die
pädagogisch-charmante Gesprächsmoderation antrieb oder der
journalistische Wissensdurst.
Vor allem wenn ich
die mündliche Prüfung abnahm, sprach ich mit jedem
einzelnen Studenten ein paar Minuten am Stück. Am Institut für
öffentliche Verwaltung (IPA) in Riad hatte ich vier Klassen mit
jeweils mehr als dreißig Studenten. Jeden einzelnen musste ich
prüfen. Das gab mir eine fast statistisch signifikante
Stichprobe von männlichen Studenten in Riad. Wahrscheinlich war
ich einer derjenigen im Königreich, der die Situation eines
jungen Untertanen dort am besten kannte. Manchmal hatte ich den
Eindruck, ich kannte meine Studenten besser als sie sich selbst.
Für die
Prüfungen musste ich Themen finden, zu denen die Prüflinge
etwas sagen konnten. Sie neigten dazu, nur mit Ja oder Nein zu
antworten oder mit Ein-Wort-Äußerungen. Also fragte ich
nach ihren Zukunftsplänen. Was hatten sie nach Ihrem Abschluss
an der Hochschule vor?
Diejenigen im
Fachbereich Krankenhausverwaltung sagten, sie wollten in der
Verwaltung eines Krankenhauses arbeiten, da hätte man nicht
viel zu tun. Vorsichtshalber hätten sie mit jemandem
gesprochen, der es wissen musste.
Die im Fachbereich
Buchführung sagten, sie wollten in der Buchführung
arbeiten, da gebe es im Königreich nicht viel zu tun. Sie
hätten sich genau informiert.
Und die im
Fachbereich Bürokommunikation sagten, sie wollten in einem Büro
arbeiten. In Büros im Königreich gebe es nicht viel zu
tun. Sie
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