Im Königreich der Frommen (German Edition)
hätten Leute gefragt, die dort arbeiteten. Die mussten
es wissen.
Vielleicht hätte
jemand die Studenten einmal zur Seite nehmen und aufklären
sollen: was man öffentlich sagte und was man sich nur dachte,
aber nicht aussprach. Vielleicht hätten sie mich als
Kommunikationsberater beschäftigen sollen. Im Königreich
hatte man da eine Menge zu tun.
Es gab andere
Themen, andere Überraschungen. Im Unterricht hatten wir das
Thema Essen behandelt. Dazu kann eigentlich jeder etwas sagen. Jeder
isst. Nach ein bisschen Hin und Her stellte ich für die Prüfung
einen passenden Fragenkatalog zusammen. Ich fing an mit dem
Frühstück, rannte damit aber gleich gegen eine saudische
Wand: Viele meiner Studenten fuhren schon morgens zu einem
Schnellrestaurant und luden Burger und Pommes zu.
Das hörte ich
mir ein paar Mal an, schüttelte innerlich mit dem Kopf,
tut-tut, wusste aber auch nicht genau, was ich damit anfangen
sollte. Mein Interesse war geweckt. Ich war auf der Spur, aber noch
nicht am Ziel. Was brachte mich dahin? Ich fragte einfach weiter.
Machte ihnen denn
morgens niemand Frühstück?
Nein, das mussten
sie selbst machen, sagten die Studenten. Deshalb ja die Fahrten zur
Rein-und-Raus-Station.
Was machten denn zu
der Zeit ihre Mütter?
Die waren noch im
Bett, antworteten meine Studenten wie selbstverständlich.
Ach so! Die Darth
Vaders im Königreich durchwachten auch die Nächte in der
virtuellen Welt!
Was Baders Mutter
in der Nacht und am darauffolgenden Morgen machte, weiß ich
nicht. In der Berufsschule war ich mit den Feinheiten der saudischen
Frühstückskultur noch nicht vertraut. Bader traf ich erst
wieder, als ich einen Artikel über die Jugendarbeitslosigkeit
im Königreich schrieb. Ich fragte meine vormaligen Schüler
an der Berufsschule, wie es ihnen nach ihrem Abschluss ergangen, was
aus ihnen geworden war. Bader sagte, er habe keine Arbeit gefunden.
Deshalb habe er sich um die Arbeitslosenunterstützung beworben.
Bei den anderen war es nicht viel anders. Der eine half seinem Vater
in einem Lebensmittelgeschäft, der nächste seinem Bruder
in einer Autowerkstatt. Aber einen richtigen Job hatten auch sie
nicht gefunden. Also sprach ich mit Bader. Er schien die Dinge beim
Namen zu nennen.
Die Zahlen über
die Jugendarbeitslosigkeit im Königreich kannte eigentlich
jeder. Nach Schätzungen sind dort vierzig Prozent der unter
25-jährigen ohne Arbeit und ungefähr ebenso viele Frauen.
Aufmerksamkeit erregte diese Statistik jedoch erst, als König
Abdullah im Februar 2011 versprach, erstmals eine
Arbeitslosenunterstützung im Königreich einzuführen.
In nur drei Monaten bewarben sich mehr als zwei Millionen Saudis
darum. Diese erste Arbeitslosenunterstützung war teil des rund
100 Milliarden Euro umfassenden Sozialpakets, das die saudische
Regierung auslobte, um mögliche Proteste wie in anderen
arabischen Ländern das Wasser abzugraben. Die Anträge der
Arbeitslosen sollten geprüft werden, gab die Regierung bekannt.
Ausgezahlt werden sollten die monatlich umgerechnet 200 Euro jedoch
erst ein paar Monate später.
Maßnahmen
gegen die Jugendarbeitslosigkeit gab es schon vorher. Einige meiner
Studenten machten den Englisch-Kurs an der Berufsschule nur, sagten
sie ganz offen, um später im Ausland, fast immer in den USA, zu
studieren. Dafür mussten sie Englischkenntnisse nachweisen. Das
war die einzige Bedingung. Damit bekam mehr oder weniger jeder das
großzügige Auslandsstipendium, mit dem man selbst in den
USA gut leben kann. Die Studiengebühren wurden auch übernommen.
Jede/r jung/e Mann/Frau, der/die an einer Schule oder Hochschule
studierte, ob im In- oder Ausland, war einfach einer mehr, der/die
aus der Arbeitslosenquote herausgerechnet werden konnte. Das wusste
auch die Königsfamilie.
Jeder kann sich
vorstellen, dass das Königreich mit einer solchen
Jugendarbeitslosigkeit vor einer riesigen Herausforderung steht:
Jobs für die vielen jungen Untertanen zu finden, die jedes Jahr
auf den Arbeitsmarkt drängen. Achtunddreißig Prozent der
Saudis sind unter vierzehn Jahren alt.
Zu dem Interview
kam Bader mit einem blütenweißen Thoube, dem Shemagh und
Agal – dem knöchellangen weißen Gewand und dem
rotweißen Tuch auf dem Kopf, fixiert mit einer schwarzen
Kordel. Das ist die saudische Nationaltracht für Männer,
so formell wie bei uns der Anzug. In den Hochschulen müssen die
Studenten so zum Unterricht kommen. Aber an der Berufsschule hatte
Bader knallbunte Hemden getragen,
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