Im Königreich der Frommen (German Edition)
im Internet erfuhr, wunderte ich mich immer über
diese fast überfallartig anzugreifen scheinende Müdigkeit.
Dann verstand ich sie besser, fragte mich aber, warum meine
Studenten nicht nachts lieber schliefen.
Das fragte ich auch
Bader. Er sagte: „Was soll ich denn sonst den ganzen Tag
machen?“
Das war es also: Er
schlief am Tag, weil es da nichts zu tun gab. Danach sah ich die
aggressive Müdigkeit meiner Studenten mit etwas mehr Sympathie
und weckte sie sanfter, wenn ich sie wieder in die reale Welt des
Unterrichts zurückholen wollte.
Denn ich musste
Bader auch Recht geben. Außer der Arbeit gab es im Königreich
wirklich so gut wie nichts zu tun. Jegliche Besuche von und bei
Freunden sind ausgeschlossen. Bei ihnen zu Hause lauern fremde,
unverhüllte Darth Vaders. Sich dort mit seinen Freunden zu
treffen ist deshalb ausgeschlossen. Viele meiner Studenten mieteten
deshalb Wohnungen, wo sie sich abends trafen, oder für ein paar
Tage ein kleines Haus, wo sie ungestört sein konnten.
Hatte man keinen
Zugriff auf eine solche Wohnung, wollte aber einmal raus aus den
vier Wänden, ging man am besten in ein Wasserpfeifen-Café.
Die waren zwar eine traurige Angelegenheit, aber etwas anderes gab
es nicht.
Ich war in drei
verschiedenen solcher Cafés im Norden Riads. Zwei waren schon
fast in der Wüste, das andere versteckt in einem
Industriegebiet. Man hatte die Wahl, draußen oder drinnen zu
sitzen. Im ersten Fall blies einem etwas frische Luft um die Nase,
im zweiten musstest du sie selber schneiden.
Jeder Gast bekam
seine eigene Box. In einem großen Café konnte es mehr
als einhundert davon geben. Sie waren jeweils so groß wie ein
großzügiges Doppelbett. Am Boden waren sie mit Polstern
und Teppichen ausgelegt. Durch hüfthohe Mäuerchen waren
sie von den anderen Boxen getrennt.
Auf einem Tischchen
am Eingang jeder Box stand ein Fernseher, der, war sie besetzt, auf
volle Lautstärke gestellt war. Schon allein um den Fernseher in
der nächsten Box zu übertönen. In diesen Boxen, den
Kopf mit einem Polster am Mäuerchen abgestützt oder ganz
am Boden hingestreckt, lagen die Gäste und schmauchten eine
Wasserpfeife nach einem langen arbeitsamen Tag.
Gab es ein
populäres Fußballspiel, waren die Cafés fast immer
voll belegt. Dann musste einer schon am frühen Abend hinfahren,
um eine Box zu besetzen, sonst hätten wir keinen Platz mehr
gefunden.
Mit ihren
weißgetünchten Mäuerchen erinnerten mich die Boxen
in diesen Cafés immer an Ferkel-Koben. Wo brachte man sonst
Lebewesen auf einem so kleinen Raum zusammen und mit so wenig
Privatsphäre?
In saudischen
Restaurants sah es jedoch genauso aus, habe ich später gemerkt.
Die Wasserpfeifen-Cafés waren nur etwas sparsamer mit dem
Platz. Auch in Restaurants bekamen die Gäste ihren ummauerten
kleinen Lagerplatz. Dort wurde das Essen auf einer Decke in der
Mitte auf den Boden gestellt. Im Kreis darum gruppierten sich alle
Gäste und griffen zu.
Selbst die
vermeintlich harmlosen Wasserpfeifen-Cafés waren in Riad
jedoch nicht gern gesehen. Sie mussten am Rande der Stadt versteckt
werden. Dass man wie in Dschidda draußen öffentlich, eine
Wasserpfeife rauchte, war in Riad ausgeschlossen.
Außer dem
aggressiven Schlaf plagte meine Studenten noch ein anderes Problem:
Die Blackberry-Sucht. Wenn sie nicht schliefen, hatten viele die
Augen auf ihr großes Mobiltelefon geheftet, den Blackberry.
Dieses Telefon war in eine in Saudi Arabien viel benutzte
Botschaften-App eingebunden. So waren meine Studenten immer auf dem
laufenden über das, was andere Studenten gerade schrieben, die
auch nicht aufpassten.
Sah ich, dass einer
wieder in seinen Blackberry vertieft war, rief ich ihn auf. Meistens
brauchte er etwas, bis er wieder in der realen Welt war. Er
beantwortete meine Frage und kehrte dann zu den Neuigkeiten im
Blackberry zurück, gierig wie jemand, der gerade aufgetaucht
war und seinen ersten Atemzug tat.
„ Twitter“
hat inzwischen der Botschaften-App von Blackberry den Rang
abgelaufen. Das Königreich hat eine der höchsten Raten der
Twitter-Benutzer weltweit. „Twitter“ eignet sich
besonders gut für spontane Internet-Kampagnen. Inzwischen gibt
es fast jede Woche eine: Ein junger Mann hat angeblich den Propheten
beleidigt und wurde festgenommen – so geht das nicht! Die
religiöse Polizei hat eine Frau einer Ladenpassage verwiesen,
weil sie Nagellack trug – mittlerer Aufruhr! Der Milchpreis
wurde erhöht – großer Aufstand!
Weil die
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