Im Königreich der Frommen (German Edition)
auch in den
folgenden Monaten berichteten die saudischen Medien jedoch mit
keinem einzigen Wort über den Protest. Deshalb dauerte es zwei
Wochen, bis die Weltpresse Notiz von den Demonstrationen in der
Ost-Provinz nahm.
Zwei Tage vor dem
in Riad geplanten „Tag der Wut“ kam es zu einem ersten
Zusammenstoß mit den Sicherheitskräften. Einige
Demonstranten in der Qatifer Innenstadt bemerkten einen Mann mit
einer Video-Kamera in ihrem Protestzug. Sie stellten ihn zur Rede
und beschuldigten ihn, für den Mabahith, den Geheimdienst, zu
arbeiten. Er fühlte sich bedroht, zog seine Pistole und gab
einige Schüsse ab. Ein Sprecher der Polizei sagte danach, der
Beamte habe in die Luft geschossen, aber die Organisatoren der
Demonstration zeigten mir Fotos von einem Einschussloch jeweils in
einem Schaufenster und der Windschutzscheibe eines Autos. Zwei
Demonstranten trugen Schussverletzungen davon.
Nachdem die
Agenturen gemeldet hatten, saudische Sicherheitskräfte hätten
auf eine Demonstration in Qatif geschossen, zuckte der Ölpreis
in die Höhe und ließ kurz die Aktienmärkte fallen.
Denn höhere Ölpreise bedeuten eine verzögerte
wirtschaftliche Entwicklung. In Saudi Arabiens Ost-Provinz lagern
rund zwanzig Prozent der weltweit bekannten Erdöl-Vorkommen.
Inzwischen ging es
bei den Protesten jedoch um mehr als nur um die Freilassung der neun
Inhaftierten. Saudische Truppen waren einige Tage zuvor in Bahrain
einmarschiert. Die Demonstranten wollten größere
religiöse und politische Freiheit. Ja, sie wollten nicht mehr
wie Bürger zweiter Klasse behandelt werden, sagte Sayed Ali.
Der „Arabische Frühling“ war in der saudischen
Ost-Provinz angekommen.
Um halb sieben
begann Sayed Ali, sich für die Demonstration am Abend fertig zu
machen. Er zog schwarze Kleidung an. Die anderen waren schon so
angezogen gekommen. „Die sieht man bei Nacht schlecht und man
kann dich nur schwer von anderen unterscheiden“, sagte er. Er
legte eine schwarze Motorradhaube zurecht.
Dann fuhren wir in
die Stadt. Zwischen den Stadtteilen hatte die Polizei an allen
Straßen Sperren errichtet. Dort durchsuchte sie Autos nach
jungen Leuten, die demonstrieren wollten. Lange Fahrzeug-Kolonnen
rasten durch die Straßen und tauchten mit ihren Blaulichtern
die Nacht in grelle Farben. Die Stadt wirkte wie im
Belagerungszustand.
Schon am
Nachmittag, als ich mit Hussein zusammen einen Imam abgeholt und ihn
im Auto interviewt hatte, mussten wir weiträumig alle
Straßensperren umfahren. Aber jetzt, als wir in die Innenstadt
wollten, schickte Sayed Ali einen Fahrer voraus, der eine Route ohne
Straßensperren auskundschaften musste, damit wir nicht
kontrolliert wurden. Über sein Handy waren wir ständig mit
ihm Kontakt, so dass er uns dirigieren konnte.
Zusammen mit
Hussein wartete ich im Auto am Rand der Innenstadt. Sayed Ali und
die anderen stiegen aus und gingen zu Fuß weiter. Er sagte, es
dauere immer ein bisschen, bis sich genügend Demonstranten
zusammenfanden, die nicht mehr festgenommen werden konnten. Er werde
uns anrufen, sobald die Demonstration begonnen habe.
Schon in seinem
Haus hatte mir Sayed Ali eine schwarze Motorradhaube in die Hand
gedrückt. Die sollte ich tragen, weil die Sicherheitskräfte
manchmal die Demonstrationen filmte und ich erkannt werden könnte.
Ich sagte, mal schauen, und hoffte, die Maske würde nicht nötig
sein.
Schon in diesem
Moment, als ich die Maske in die Hand nahm, fragte ich mich, ob sie
wirklich eine gute Idee war. Ehrlich gesagt: Ich war sofort sicher,
dass sie, ganz im Gegenteil, keine gute Idee war. Mit ihr gab ich
meine Neutralität als Journalist auf und nahm an der
Demonstration teil. Zumindest konnten die Sicherheitskräfte mit
einiger Berechtigung so argumentieren. Würde ich festgenommen,
würde mich die Maske in noch viel mehr Schwierigkeiten bringen.
Viel, viel mehr. Trotzdem steckte sie jetzt in meiner Jackentasche
und wartete darauf, aufgesetzt zu werden.
Hussein und ich
saßen im Auto am Stadtpark, neben der alten Zitadelle, die
irgendwann einmal geschleift wurde. Um eine Rasenfläche lief
ein Mann im Viereck. Methodisch setzte er einen Fuß neben den
anderen. Wenn er an einer Ecke ankam, machte er halblinks kehrt und
paradierte weiter. Er hatte keinen Hund dabei oder sonst irgendwas.
Wenn er ein Späher war, verhielt er sich viel zu auffällig.
Aber trotzdem: Was machte er?
Waren wir nicht
äußerst verdächtig? Zwei Männer im Auto. Der
eine schwarz angezogen, kette-rauchend,
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