Im Königreich der Frommen (German Edition)
der
Menschenrechtsorganisation Human Rights First war er einer von 100
Demonstranten, die in dieser Nacht verhaftet wurden. Laut ihrem
Vorsitzenden Ibrahim Mugaitib waren nach der vorerst letzten
Demonstration Ende Mai 180 Demonstranten in Haft. Einige hätten
sich aber gar nicht an den Protesten beteiligt. Sechs waren Autoren
und Blogger, so Mugaitib, zwanzig von ihnen waren noch nicht
volljährig – die meisten gar erst zwölf oder
dreizehn Jahre alt.
Ein paar Tage
später nahm Sayed Ali als Vertreter der Demonstranten an einem
Treffen mit Prinz Mohammed teil, dem damaligen Gouverneur der
Ost-Provinz. Am Telefon berichtete er mir, der Gouverneur habe
gesagt, die Inhaftierten würden erst frei gelassen, wenn die
Proteste aufhörten.
Trotzdem gingen die
jungen Schiiten am folgenden Wochenende wieder auf die Straßen.
Nur diesmal war es keine Nachricht mehr wert. Ein Tsunami verwüstete
die Ost-Küste Japans. Der Krieg in Libyen gegen Muammar Al
Gaddafi begann.
Noch zwei Monate
jedes Wochenende demonstrierten die jungen Schiiten weiter, aber die
Stimmung fing an zu kippen. Die Imame, die zuvor in den Moscheen zu
den Protesten aufgerufen hatten, fingen an, gegen die
Demonstrationen zu predigen. Die moderaten Stimmen in Qatif setzten
sich durch. Ende Mai riefen auch die Organisatoren der Proteste dazu
auf, nicht mehr auf die Straße zu gehen, um Verhandlungen mit
dem saudischen Regime eine Chance zu geben. Vorerst gab es keine
öffentlichen Proteste mehr.
Es gibt kein Hotel
in Qatif. Gleich nach der Demonstration fuhr mich Hussein zurück
zu meinem in Dammam. Auf der Fahrt erzählte er, eigentlich
wolle er ein Haus für seine Familie bauen. Er wohnt mit seiner
Frau und einem kleinen Kind in einer Mietwohnung in Qatif. Aber das
sei unmöglich, mit dem, was er verdiene, sagte er. Und weil er
nicht festangestellt sei, bekomme er keinen Kredit.
Wir fuhren an der
Küste entlang und kamen an eine Stelle, an der eine Bucht
trockengelegt wurde. Hussein sagte, jeder wisse, dass hochrangige
Prinzen am Verkauf des gewonnenen Landes eine Menge Geld machen
würden. Das war schwer nachzuprüfen. Aber es wäre
nicht das erste Mal, dass die Königsfamilie von Landverkäufen
profitierte.
Hussein fragte mich
nach der Stimmung in Riad. Schon am Nachmittag hatten mich Sayed Ali
und seine Freunde gefragt, wann dort die ersten Demonstrationen
beginnen würden. Sie hofften auf Unterstützung.
Am Wochenende zuvor
war der in Riad geplante „Tag der Wut“ ins Wasser
gefallen. Am Morgen hatte ich die Zeitungen voll mit Anzeigen von
Firmen gesehen, die in langatmigen Lobpreisungen den König
ihrer Loyalität versicherten. Und ich kannte natürlich
Abdulaziz, der mir half zu verstehen, warum im Königreich der
Frühling ausblieb. Von all dem erzählte ich Hussein jedoch
nichts. Ich hätte es nicht übers Herz gebracht, seine
Hoffnungen zu zerstören.
Hussein jedoch
deutete mein Schweigen als wortlose Zustimmung. „Was ist nur
los mit Saudi Arabien? Wir wollen endlich auch Demokratie“,
fuhr er fort. „In anderen arabischen Ländern ist das doch
ganz normal.“ Und weiter: „Alles ist bei uns nach einem
König oder einem Prinzen benannt. König Khaled-Straße
dies, Prinz Abdulrahman-Autobahn das. Man kann die vielen Namen gar
nicht auseinander halten.“
Als ich zurück
in meinem Hotel war, erwischte ich mich wieder dabei, dass ich
dachte, schade eigentlich, morgen früh fährst du wieder
zurück ins Königreich. Natürlich hatte ich Saudi
Arabien gar nicht verlassen. Ich war nur zu Besuch bei den Anderen.
All die Dinge, die
einem als Besucher im Königreich sofort ins Auge sprangen: die
Verehrung des Königs, die an einen Personenkult erinnert, die
Korruption, die mangelnde Forderung nach Demokratie, nach
Rechtfertigung, wo die öffentlichen Gelder eigentlich blieben –
in Riad hörte man dazu so gut wie von niemandem etwas. In Qatif
dagegen hatte ich an einem Tag etwas zu all diesen Dingen gehört
und von jedem eigentlich, den ich fragte.
Natürlich
waren die Schiiten in der Ost-Provinz nicht talentierter oder klüger
als die Leute in Riad. Sie gehörten nur zu einer anderen
Gruppe. Diese Gruppe redete anders, und wenn man dazu gehören
wollte, dann redete man auch so. In Riad dagegen, wenn man dazu
gehören wollte, im Stammland der Al Saud, verbreitete man um
sich den Geist des perfekten Systems. So einfach war das. Das wusste
ich jetzt. Nur wusste ich jetzt auch, welche Gruppe mir näher
stand.
Dann war ein paar
Monate nichts
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