Im Koenigreich der Traeume
wahr.
Jetzt traute sie ihm alle Untaten zu, und das mit gutem Grund. Diese Erkenntnis schmerzte tausendmal mehr als jede Wunde, die sich Royce in erbitterten Kämpfen zugezogen hatte.
»Wenn du weinst«, flüsterte er und strich über ihr glänzendes Haar, »fühlst du dich besser.« Doch im Grunde seines Herzens war ihm klar, daß er Unmögliches von ihr erbat. Sie hatte so viel durchgemacht und ihre Tränen so lange zurückgehalten, daß es wahrscheinlich nichts mehr gab, was sie zum Weinen bringen konnte. Sie hatte keine Träne vergossen, als sie ihm von ihrer ertrunkenen Freundin Becky erzählt hatte, und auch nicht, als ihr Lieblingsbruder William tot vor ihr lag. Eine Frau, die als vierzehnjähriges Mädchen so viel Mut besessen hatte, ihrem bewaffneten Bruder auf dem Feld der Ehre die Stirn zu bieten, würde nicht weinen, nur weil ihr verhaßter Ehemann sie darum bat - nicht, wenn sie nicht um ihre Freundin und um ihren Bruder geweint hatte. »Ich weiß, du wirst mir das nicht glauben«, flüsterte er gequält, »aber ich halte mein Wort. Ich werde niemanden von deiner Familie oder deinem Clan bei dem Turnier verletzen. Ich schwöre es.«
»Ich bitte dich, laß mich los«, forderte sie mit erstickter Stimme.
Er konnte nicht anders - er zog sie noch fester an sich. »Jenny«, raunte er, und Jenny wäre am liebsten gestorben, denn selbst jetzt noch schmolz sie vor Liebe dahin, wenn er ihren Namen aussprach.
»Nenne mich nie wieder so«, erwiderte sie ergriffen und tief verletzt.
Royce atmete ein paarmal ganz tief durch, dann hauchte er leise: »Würde es etwas helfen, wenn ich dir sage, daß ich dich liebe?«
Sie riß sich los, aber Royce erkannte ihren Zorn in ihren Zügen. »Wem versuchst du zu helfen?«
Royce ließ die Arme sinken. »Du hast recht.«
Zwei Tage später verließ Jenny die Kapelle nach einem Gespräch mit Bruder Gregory, der sich bereit erklärt hatte, in Claymore zu bleiben, bis ein Priester gefunden wurde, der sich für immer hier ansiedeln wollte.
Royces Ritter übten wie jeden Morgen mit den Waffen, um nicht träge zu werden und für Schlachten gerüstet zu sein. Stunde um Stunde trainierten sie die Pferde und ließen sie über Gräben und Sandsäcke springen und schwangen sich selbst in die Sättel, ohne die Steigbügel zu berühren. Den Rest der Zeit ritten sie gegen eine Stechpuppe an, die an einem hölzernen Drehkreuz befestigt und so gut ausbalanciert war, daß sie schon bei einer leichten Berührung mit der Hand herumwirbelte. An einem Ende des Drehkreuzes hing die Stechpuppe - eine Ritterrüstung mit Schild am anderen ein schwerer Sack. Ein Ritter nach dem anderen ritt gegen die Stechpuppe an, trieb sein Pferd ans andere Ende des Hofs und kam aus einem anderen Winkel erneut auf das hölzerne Drehkreuz zu - immer und immer wieder stachen sie mit ihren Lanzen und Spießen auf den >Ritter< am Drehkreuz ein. Wenn die Stechpuppe nicht exakt an der Brust getroffen wurde, drehte sich das Kreuz, und der Angreifer mußte damit rechnen, einen heftigen Schlag vom Sandsack abzubekommen, der sein Ziel niemals verfehlte.
Alle Ritter stachen gelegentlich daneben, das hing von dem Angriffswinkel und dem Hindernis ab, das vor der Stechpuppe aufgebaut und zu überspringen war, und alle wurden von dem Sandsack mehr oder weniger heftig getroffen. Nein, nicht alle Männer hatten Fehlversuche zu verzeichnen, registrierte Jenny. Ihr Mann traf immer sein Ziel. Anders als die anderen, verbrachte Royce nicht viel Zeit am Drehkreuz, dafür arbeitete er mehr mit Zeus, wie auch jetzt. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie ihn, wie er mit bloßem Oberkörper und mit in der Sonne glänzenden Muskeln seinen Hengst über immer höhere Hindernisse jagte, dann weitersprengte, an den Zügeln riß, um zu wenden, und enge Kreise in vollem Galopp ritt.
In den letzten Tagen war es Jenny gelungen, nicht auf die täglichen Übungen zu achten, aber da das Turnier und damit eine ernste Bedrohung immer näher rückte, erschien ihr der Zeitvertreib der Männer wie ein tödliches Spiel, in dem sie ihre Fertigkeiten bis zur absoluten Perfektion steigern wollten, um ihre Gegner im Ernstfall vernichtend schlagen zu können. Sie war so in ihre trübseligen Gedanken und die heimliche Betrachtung ihres imposanten, athletischen Mannes versunken, daß sie gar nicht hörte, wie Godfrey an ihre Seite kam.
»Zeus ist noch längst kein so zuverlässiges Pferd, wie es sein Vater Thor war«, sagte er, als er merkte, wohin sie
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