Im Koenigreich der Traeume
der Nähe ist?«
Kapitel vierundzwanzig
»Was meint Ihr, Mylady, wie viele Männer sind da draußen noch?« fragte Agnes, die neben Jenny auf der Wehrmauer stand. Die Zofe hatte in der letzten Woche so hart gearbeitet, daß Jenny heute auf einem Spaziergang an der frischen Luft bestehen mußte.
Jenny betrachtete das unglaubliche Spektakel, das Heinrich mit seiner Anordnung, daß der Wolf an dem teilnehmen mußte, was einst ein örtliches Turnier-Vergnügen gewesen war, in Gang gesetzt hatte.
Adlige, Ritter und Schaulustige aus England, Schottland, Frankreich und Wales waren zu Tausenden angekommen. Das Tal und die umliegenden Hügel übersäten sich immer dichter mit bunten Zelten und Pavillons, die alle Neuankömmlinge für ihre eigene Bequemlichkeit aufgebaut hatten. Es sieht aus, dachte Jenny, wie ein Meer der verschiedensten Farben, Banner und Wappen.
Als Antwort auf Agnes’ Frage lächelte Jenny schwach. »Ich schätze, es sind sechs- oder siebentausend. Vielleicht sogar noch mehr.« Und Jenny wußte genau, warum so viele hier waren: Sie alle wollten ihre Kräfte mit Heinrichs legendärem Wolf messen.
»Sieh, da ist eine ganze neue Gruppe«, sagte Jenny und deutete nach Osten, wo Leute zu Pferd und zu Fuß über einen Hügel schwärmten. Seit beinahe einer Woche kamen immer wieder an die hundert Mann starke Gruppen an, und Jenny wußte inzwischen, wie die Routine von englischen Reisenden ablief. Zuerst tauchte die Vorhut mit dem Trompeter auf, der die Ankunft seines illustren Lords mit Trompetenstößen ankündigte. Die Vorhut ritt nach Claymore, meldete den Lord und seine Gefolgschaft an und wurde wieder in die Hügel geschickt, da inzwischen jedes Zimmer in der Festung, von den sechzig Gästequartieren im Torhaus bis zu den kleinsten Dachkammern, von noblen Besuchern belegt war. Die Burg war so überfüllt, daß die Dienerschaft und die Begleiter der adligen Gäste gebeten werden mußten, ihr Lager vor den Toren der Festung aufzuschlagen.
Nach der Vorhut kam die eigentliche Gesellschaft mit dem Lord und der Lady, die auf verschwenderisch geschmückten Pferden saßen, gefolgt von ihren Bediensteten und den Wagen mit Zelten und all den Gegenständen, die ein vornehmer Haushalt auch auf Reisen benötigte: Tischtücher, Eßservice, Juwelen, Töpfe, Pfannen, Betten und sogar Wandbehänge.
Das alles war für Jenny in den letzten vier Tagen zu einem gewohnten Anblick geworden. Aristokratische Familien, die es gewöhnt waren, hundert Meilen weit zu reisen, um andere in ihren Schlössern zu besuchen, schreckten nicht davor zurück, ebensolche Strapazen auf sich zu nehmen, um dieses Turnier nicht zu versäumen, das das größte Schauspiel ihres Lebens zu werden versprach.
»Wir haben hier noch nie so etwas gesehen - keiner von uns«, sagte Agnes.
»Tun die Dorfbewohner das, worum ich sie gebeten habe?«
»Ja, Mylady, und wir werden Euch bis in alle Ewigkeiten dankbar für Eure Hilfe sein. Liebe Güte, wir alle haben in einer einzigen Woche mehr Münzen bekommen als in unserem ganzen Leben, und kein Mensch traut sich, uns zu betrügen, wie die Nachbarn es sonst jedes Jahr bei dem Turnier gemacht haben.«
Jenny lächelte und hob ihre Haarmähne ein wenig an, damit die Oktoberbrise ihren Nacken kühlen konnte. Die ersten Gäste, die ins Tal gekommen waren und Zelte errichtet hatten, waren zu den Dorfbewohnern gegangen, hatten Rinder, Schweine und Hühner für ihre eigenen Bedürfnisse von ihnen verlangt und den armen Familien, die das Vieh gezüchtet hatten, nur wenige Münzen als Entschädigung vor die Füße geworfen.
Sobald Jenny gewahr wurde, was vor sich ging, machte sie die Runde im Dorf und sprach mit den Leuten. Jetzt flatterten an allen Cottages und an jedem Stall Banner mit dem Wolfskopf, die Jenny den Wachen und Rittern abgeschwatzt hatte. Die Banner verkündeten, daß die Familien, die in den Hütten wohnten, unter dem Schutz des Schwarzen Wolfs standen.
»Mein Gemahl«, hatte sie der Dienerschaft und den Dorfbewohnern erklärt, als sie die Banner verteilte, »duldet nicht, daß Menschen, die unter seiner Obhut leben, auf so gemeine Weise betrogen und übervorteilt werden. Ihr dürft alles verkaufen, was ihr wollt, aber«, setzte sie mit einem Lächeln hinzu, »wenn ich an eurer Stelle wäre und mir jemand etwas abkaufen wollte, würde ich mir denjenigen aussuchen, der mir am meisten dafür bietet - gebt nicht euer Hab und Gut gleich an den ersten, der euch ein paar Münzen vor die Nase
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