Im Koenigreich der Traeume
Mund blieb offen stehen, dann faßte sich Royce wieder und schloß ihn. Sein Gesicht schmerzte höllisch, und seine Laune verschlechterte sich mit einem Schlag. »Augenscheinlich hält Euch Euer Vater für ebenso unfügsam, eigensinnig und unvernünftig wie ich«, erklärte er gereizt. Er wünschte sich im Augenblick nichts mehr als einen großen Schluck Wein.
»Wenn ich Eure Tochter wäre, wie würdet Ihr Euch dann fühlen?« fragte Jenny empört.
»Verflucht«, versetzte er grob und achtete gar nicht auf ihren gekränkten Blick. »In zwei Tagen habt Ihr mir mehr Widerstand entgegengesetzt als die Verteidiger der beiden Burgen, die ich zuletzt erobert habe.«
»Ich meinte eigentlich etwas anderes«, sagte Jenny und stemmte wütend ihre Hände in die Hüften. »Wenn ich Eure Tochter wäre und Euer Todfeind mich entführt hätte, was würdet Ihr dann von mir erwarten? Wie sollte ich mich Eurer Meinung nach verhalten?«
Für einen Moment verschlug es Royce die Sprache, und er starrte sie an, während er nachdachte. Sie hatte weder versucht, ihn mit weiblicher Raffinesse für sich einzunehmen, noch um Gnade gefleht. Statt dessen hatte sie ihr Bestes getan, ihn zu überlisten, ihm zu entkommen und ihn zu töten. Keine einzige Träne hatte sie vergossen, selbst dann nicht, als er ihr eine ordentliche Tracht Prügel verabreicht hatte. Danach, als er irrtümlich angenommen hatte, sie würde weinen, war sie nur von einem Ziel beseelt gewesen: ihn niederzustechen. Ihm kam der Gedanke, daß sie möglicherweise unfähig war zu weinen, aber im Augenblick beschäftigte ihn die Frage, wie er sich fühlen würde, wenn sie seine Tochter wäre - eine Unschuldige, die aus der Sicherheit des Klosters entführt worden war.
»Zieht Eure Krallen wieder ein, Jennifer«, sagte er barsch. »Ich habe Euch verstanden.«
Sie nahm diesen Sieg mit einem anmutigen Nicken zur Kenntnis - genaugenommen mit weit mehr Grazie, als Royce ihr zugetraut hätte.
Zum erstenmal sah Royce sie wirklich lächeln, und die Auswirkung auf ihr Gesicht war frappierend. Das Lächeln leuchtete langsam auf, flackerte in ihren Augen, bis sie regelrecht blitzten, dann gerieten ihre großzügigen Lippen in Bewegung, wurden an den Mundwinkeln sanfter, teilten sich, und perfekte weiße Zähne wurden sichtbar. Kleine Grübchen entstanden rechts und links des weichen Mundes.
Royce hätte das Lächeln um ein Haar erwidert, aber er fing gerade noch rechtzeitig Gawins verächtlichen Blick auf, und ihm dämmerte, daß er sich aufführte wie ein vernarrter Kavalier, aber Jenny war seine Gefangene und die Tochter seines Feindes. Die Zerstörungswut dieser Frau war schuld, daß seine Männer in der für diese Jahreszeit ungewöhnlich kalten Nacht ohne Decken frieren mußten.
Royce deutete mit dem Kinn auf die Fellmatten. »Geht schlafen. Morgen könnt Ihr anfangen, den Schaden, den Ihr mit den Decken angerichtet habt, wieder gutzumachen.«
Seine harsche Art wischte das Lächeln von ihrem Gesicht, und sie wich einen Schritt zurück.
»Ich habe es ernst gemeint«, fügte er, wütender auf sich selbst als auf sie, hinzu. »Bis alles geflickt ist, werdet Ihr ohne Decke schlafen.«
Sie reckte hochmütig ihr Kinn, wie er es schon oft an ihr gesehen hatte, und drehte sich zu der Schlafstelle um, die er ihr zugewiesen hatte. Sie bewegte sich mit der aufreizenden Eleganz einer Kurtisane und ganz sicher nicht wie eine Nonne, bemerkte Royce grimmig.
Jenny lag schon auf dem Fell, als er die Kerzen ausblies. Kurze Zeit später streckte sich der Earl neben ihr aus und zog ein Fell über sich, um sich gut zuzudecken. Plötzlich wich die tröstende Wärme, die der Wein ihr gespendet hatte, aus Jennifers Körper, und ihr erschöpfter Geist durchlebte noch einmal alle nervenzermürbenden Ereignisse des letzten Tages - vom Morgengrauen angefangen, als Brenna und sie ihre Flucht geplant hatten, bis vor ein paar Stunden, als der Mann an ihrer Seite sie wieder einfing.
Sie starrte in die Dunkelheit und erinnerte sich an den schrecklichsten Augenblick der letzten vierundzwanzig Stunden - an den Moment, den sie schon die ganze Zeit verdrängt hatte. Sie sah Thor in seiner prächtigen Schönheit vor sich, wie er mühelos durch den dichten Wald trabte, auf den Hügel sprengte und Hindernis nach Hindernis übersprang. Und dann sah sie ihn tot neben dem Felsbrocken liegen, sein schwarzes Fell glänzte im Schein des Mondes.
Tränen brannten in ihren Augen; sie holte bebend Luft und versuchte, die
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