Im Koenigreich der Traeume
Lager versammelt hatten.
Sie saß in Royces Zelt und nähte eifrig an den Decken, lauschte dem nie enden wollenden Lärm und bemühte sich vergeblich, ihre Sorgen und Nöte zu verdrängen. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie die Streitkräfte ihres Vaters gegen diese gut geschulte »Kriegsmaschine«, die der Wolf aus seinen Männern gemacht hatte, Bestand haben sollte, und hatte Angst, daß die Festung von Merrick einem Ansturm dieser Macht kaum gewachsen sein konnte.
Sie dachte auch an Brenna. Seit ihrem mißglückten Fluchtversuch hatte Jenny nur einen kurzen Blick auf sie erhaschen können. Die Aufgabe von Stefan, dem jüngeren Bruder des Earl, war es offenbar, Brenna in ihrem Zelt festzuhalten, während der Earl of Claymore die Verantwortung für Jenny übernommen hatte. Strikt verbat er, daß die Mädchen zusammenkamen. Auf Jennys wiederholte Fragen, ob Brenna auch wirklich sicher sei, hatte er ihr einigermaßen glaubhaft erklärt, ihr könne nichts geschehen und sein Bruder würde sie wie einen Gast behandeln.
Jenny legte ihr Nähzeug weg, stand auf und ging zum Eingang des Zelts. Sie sehnte sich danach, wiedereinmal einen Spaziergang machen zu können. Das Wetter war schön an diesem frühen Septembertag - warm in der Sonne, aber schon beißend kalt bei Nacht. Die Elitegarde des Wolfs - fünfzehn Männer, die Royce persönlich unterstellt waren - machten auf der anderen Seite des Feldes Reitübungen. Jenny hatte wirklich große Lust, ein wenig im warmen Sonnenschein herumzugehen, obwohl es Royce, dessen Einstellung zu ihr von Tag zu Tag schärfer und härter zu werden schien, streng verboten hatte. Die Ritter, besonders Sir Godfrey und Sir Eustace, die früher beinahe höflich gewesen waren, behandelten sie jetzt wie eine Feindin, deren Gegenwart man notgedrungen erdulden mußte. Brenna und sie hatten sie überlistet, und das würde keiner von ihnen je vergessen oder verzeihen.
Am Abend nach dem Essen brachte Jenny wieder das zur Sprache, was ihr am meisten am Herzen lag. »Ich wünsche meine Schwester zu sehen«, eröffnete sie dem Earl so kühl, wie es seiner Stimmung entsprach.
»Dann versucht, mich darum zu bitten«, entgegnete er knapp, »und erzählt mir nicht nur davon.«
Jenny versteifte sich bei diesem Tonfall und überlegte, wie sie ihre Lage verbessern und ihr drängendstes Ziel erreichen konnte. Nach bedeutungsvollem Zögern ließ sie sich zu einem Nicken herab und sagte honigsüß: »Also schön. Darf ich meine Schwester sehen, Mylord?«
»Nein.«
»Warum nicht, in Gottes Namen?« brauste Jenny auf und vergaß für einen Moment, daß sie sich vorgenommen hatte, zahm und fügsam zu sein.
Seine Augen funkelten belustigt - es machte ihm Spaß, sich auf Wortgefechte mit ihr einzulassen, auch wenn er sich vorgenommen hatte, ihr weder körperlich noch in Gedanken zu nahe zu kommen. »Weil Ihr, wie ich Euch bereits dargelegt habe, einen schlechten Einfluß auf Eure Schwester ausübt. Ohne Euch kommt sie nicht auf dumme Ideen, und allein hat sie nicht genug Mut, an eine Flucht auch nur zu denken. Außerdem kann ich mich darauf verlassen, daß Ihr nicht ohne sie durchbrennt.«
Jenny hätte ihm liebend gern alle möglichen Schimpfworte an den Kopf geworfen, daß ihm die Ohren dröhnten, aber damit hätte sie alles gründlich verdorben. »Vermutlich würdet Ihr mir nicht glauben, wenn ich Euch mein Wort gebe, daß ich keinen Fluchtversuch unternehme.«
»Ihr würdet mir Euer Wort darauf geben?«
»Ja. Darf ich jetzt meine Schwester sehen?«
»Nein«, wiederholte er freundlich, »ich fürchte, das geht nicht.«
»Ich finde es wirklich erstaunlich«, verkündete sie mit ungeheuerlicher Verachtung, »daß Ihr einer ganzen englischen Armee nicht zutraut, zwei schwache Frauen am Weglaufen hindern zu können. Oder schlagt Ihr mir aus Grausamkeit die Bitte ab?«
Er preßte die Lippen aufeinander und schwieg. Plötzlich verließ er das Zelt und kam erst zurück, als Jenny längst eingeschlafen war.
Am nächsten Morgen beobachtete Jenny überrascht, wie Brenna zu Royces Zelt geführt wurde. Die grauen Nonnengewänder, die sie neben dem Fluß vergraben hatten, waren so mitgenommen, daß Brenna wie Jenny eine Jacke, eine Hose und hohe, weiche Stiefel trug - alles Sachen, die offensichtlich von Knappen ausgeliehen worden waren.
Nach herzlicher Umarmung zog Jenny ihre Schwester zur Seite und wollte gerade eine Diskussion über die Möglichkeiten einer neuen Flucht anfangen, als ihr Blick auf ein Paar
Weitere Kostenlose Bücher