Im Koenigreich der Traeume
beschnitt.
Nach den vergangenen zwei Wochen, in denen er vergeblich auf eine Vorladung des Königs gewartet hatte, mußte sich Royce allmählich fragen, ob sich Heinrich nicht gänzlich auf die Seite seines Beraters geschlagen und seine schützende Hand von ihm genommen hatte. Royce schaute in die dunkle Nacht, die wie immer von den üblen Gerüchen Londons durchzogen war - es stank nach Abwässern, Abfällen und Exkrementen -, und dachte darüber nach, wieso sich Heinrich weigerte, ihn zu sehen und mit ihm über die Gründe zu sprechen, die zu seiner Festnahme geführt hatten.
Er kannte Heinrich seit zwölf Jahren, hatte an seiner Seite in der Schlacht auf dem Bosworth Field gekämpft und war dabeigewesen, als Heinrich zum König proklamiert und auf dem Schlachtfeld gekrönt worden war. Da dem Herrscher nicht entgehen konnte, wie tapfer, wagemutig und selbstlos Royce während des Kampfes für ihn in die Bresche gesprungen war, hatte er ihn noch am selben Tag zum Ritter geschlagen, obwohl Royce Westmoreland damals erst siebzehn Jahre zählte - das war Heinrichs erste offizielle Tat als König gewesen, ln den folgenden Jahren war sein Vertrauen zu Royce im selben Maß gewachsen wie sein Mißtrauen den anderen Adligen gegenüber.
Royce focht seine Schlachten für ihn aus, und jeder glorreiche Sieg machte es leichter für Heinrich, Englands und seine persönlichen Feinde ohne Blutvergießen zu Konzessionen zu zwingen. Royce wurde für seine Heldentaten mit vierzehn Landsitzen und so vielen Reichtümern belohnt, daß er inzwischen zu den wohlhabendsten Männern des Reiches gehörte. Aber das war noch nicht alles. Heinrich hatte sich so sehr auf ihn verlassen, daß er ihm sogar gestattete, die Burg in Claymore zu befestigen und eine eigene uniformierte Streitkraft aufzustellen. Hinter all diesen Vergünstigungen steckte ein tieferer Sinn: Der Schwarze Wolf stellte eine schreckliche Bedrohung für Heinrichs Feinde dar, und schon allein der Anblick des Zähne fletschenden Wolfs auf den Bannern erstickte manche Feindseligkeit im Keim, bevor sie zu ernsthaften Auseinandersetzungen heranreifen konnte.
Zusätzlich zu dem Vertrauen und der Großzügigkeit hatte Heinrich Royce das Privileg zugesprochen, seine Meinung frei und ohne Einmischung oder Beisein von Graverley und den anderen Mitgliedern des mächtigen Kronrates zu äußern. Und gerade das machte Royce im Augenblick am meisten zu schaffen. Heinrichs langes Zögern, ihm eine Audienz und die Gelegenheit zu gewähren, sich selbst zu verteidigen, war ganz und gar untypisch für die beinahe freundschaftliche Beziehung, die sie in der Vergangenheit unterhalten hatten, und außerdem ließ es nichts Gutes für das Ergebnis der Unterredung erahnen.
Als er hörte, wie ein Schlüssel ins Türschloß geschoben wurde, drehte sich Royce gespannt um. Aber seine Hoffnungen schwanden, als er den Wachmann sah, der ein Tablett mit Essen hereinbrachte.
»Hammelfleisch, Mylord«, verkündete er und kam damit seiner Frage zuvor.
»Zum Teufel damit«, fluchte Royce. Seine Ungeduld mit allem und jedem hatte den Siedepunkt erreicht.
»Ich kann Hammel auch nicht leiden, Mylord«, beschwichtigte ihn der Wächter, obwohl er genau wußte, daß die Mahlzeit nichts mit der gereizten Stimmung des Schwarzen Wolfs zu tun hatte. Nachdem er das Tablett abgestellt hatte, stand er respektvoll stramm. Ob zum Arrest verdammt oder nicht - der Schwarze Wolf war ein gefährlicher Mann und, was noch wichtiger war, ein ruhmreicher Held für jeden, der sich selbst als richtigen Mann betrachtete. »Habt Ihr sonst noch Wünsche, Mylord?«
»Gibt es Neuigkeiten?« knurrte Royce, und dabei war seine Miene so harsch und bedrohlich, daß der Wachmann unwillkürlich einen Schritt zurückwich, bevor er zaghaft nickte. Der Wolf fragte jedesmal nach Neuigkeiten - gewöhnlich in umgänglicherem Ton -, und heute war der Wächter in der glücklichen Lage, ihm etwas Interessantes zutragen zu können, auch wenn es sicherlich nichts war, was der Wolf besonders gern hörte.
»Es gibt tatsächlich etwas Neues, Mylord. Zwar nur ein Gerücht, aber ich habe es von jemandem aufgeschnappt, der wissen müßte, wovon er spricht.«
Royce spitzte augenblicklich die Ohren. »Was für ein Gerücht?«
»Man munkelt, Euer Bruder sei gestern abend zum König gerufen worden.«
»Mein Bruder hält sich hier in London auf?« fragte Royce atemlos nach.
Der Wachmann nickte eifrig. »Er ist gestern angekommen. Hat verlangt, Euch gleich zu
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