Im Koenigreich der Traeume
Winter. Die feuchte Kälte setzt meinen schmerzenden Gelenken schwer zu. Wenn ihr nicht einen solchen Sturm heraufbeschworen hättet, würde ich jetzt in einem warmen Haus auf dem Land sitzen.«
Royce brachte dem König einen gefüllten Weinkelch, schenkte sich selbst auch etwas ein und kehrte zu den Stufen vor dem erhöhten Thron zurück, trank schweigend ein paar Schlucke und wartete darauf, daß Heinrich seine brütenden Überlegungen beendete.
»Ein Gutes ist in jedem Fall aus dieser Angelegenheit hervorgegangen«, erklärte der König schließlich und sah Royce an. »Ich gebe zu, ich hatte Bedenken, als ich Euch gestattete, Claymore zu befestigen und Eure Gefolgsmänner zu bewaffnen. Als man Euch des Verrats bezichtigt hat und Ihr Euch - wie mir sehr wohl von Anfang an bewußt war - ohne Widerstand von meinen Männern habt nach London bringen lassen, obwohl Eure Gefolgsleute meine Ritter leicht hätten überwältigen können, da diese offensichtlich in der Unterzahl waren, habt Ihr mir bewiesen, daß Ihr Euch nicht gegen mich stellt, auch wenn die Versuchung noch so groß sein sollte. Doch trotz Eurer Loyalität mir gegenüber, hattet Ihr nicht vor, Lady Jennifer Merrick in Graverleys Obhut zu geben und sie von ihm nach Hause bringen zu lassen, habe ich recht?«
Wieder kochte die Wut in Royce hoch, als er an diese Torheit erinnert wurde. Er setzte den Weinkelch ab und erwiderte eisig: »Zu dieser Zeit war ich überzeugt, daß sie sich weigern würde, mit Graverley zu gehen, und ihm das auch persönlich klarmachen würde.«
Heinrich sah ihn fassungslos an. »Also hat Graverley in diesem Punkt die Wahrheit gesagt. Beide Frauen haben Euch zum Narren gehalten.«
»Beide?« wiederholte Royce.
»Ja, mein Junge«, bestätigte Heinrich amüsiert und dennoch verärgert. »Vor kurzem haben mir zwei Abgesandte von König Jakob Bericht erstattet. Durch sie stehe ich ständig in Verbindung .mit Jakob, der seinerseits Kontakt zum Earl of Merrick und allen anderen, die in diesen Schlamassel verwickelt sind, unterhält. Nach allem, was Jakob mir nicht ohne Schadenfreude zugetragen hat, muß die jüngere der beiden Schwestern - von der Ihr annahmt, sie stünde auf der Schwelle des Todes -ihr Gesicht in ein Daunenkissen gedrückt haben. Ihr war sehr wohl bekannt, daß Federn schlimme Hustenanfälle bei ihr verursachen. Es gelang ihr, Euch zu überzeugen, daß ihr Lungenleiden wieder ausgebrochen sei, und Ihr habt sie prompt nach Hause geschickt. Die ältere - Lady Jennifer - war offensichtlich in den Plan eingeweiht, blieb jedoch noch einen Tag. Aber dann brachte sie Euch irgendwie dazu, sie im Freien ohne Bewachung allein zu lassen, so daß sie mit ihrem Stiefbruder fliehen konnte. Ohne Zweifel war es ihm gelungen, vorher mit ihr abzusprechen, wo und wann sie sich treffen sollten.« Heinrichs Stimme wurde schärfer. »Ganz Schottland lacht darüber, daß mein siegreicher Feldherr von zwei jungen Mädchen überlistet und an der Nase herumgeführt wurde. Und auch an meinem eigenen Hof erzählt man sich die Geschichte und schmückt sie mit farbigen Einzelheiten aus. Das nächste Mal, wenn Ihr einem Widersacher gegenübersteht, werdet Ihr feststellen, daß er Euch offen ins Gesicht lacht, statt vor Angst zu zittern, Royce Westmoreland.«
Noch vor einem Moment hatte Royce fest daran geglaubt, daß es unmöglich für ihn war, mehr Wut zu empfinden als an dem Tag in Hardin, an dem Jennifer geflohen war. Aber die Tatsache, daß Brenna Merrick, die schon vor Angst losheulte, wenn sie nur ihren eigenen Schatten sah, ihn auch hinters Licht geführt hatte, reichte aus, um vor Zorn mit den Zähnen zu knirschen. Aber das war noch längst nicht das schlimmste: Jennifers Tränen und ihr Flehen, der Schwester das Leben zu retten, waren nichts als Theater gewesen! Als sie ihm so >großzügig< ihre Jungfräulichkeit angeboten hatte, um ihn dazu zu bringen, Brenna nach Hause zu schicken, hatte sie zweifellos fest angenommen, daß sie noch vor Einbruch der Nacht aus der Burg und somit dem Schicksal, das er ihr zugedacht hatte, entkommen konnte.
Heinrich stand auf, schritt die Stufen hinunter und lief im Saal hin und her. »Ihr habt noch nicht alles gehört. Es hat einen Aufschrei der Entrüstung gegeben, der all meine Erwartungen übertroffen hat, als offenkundig wurde, wen Ihr gefangenhaltet. Ich habe Euch bis heute keine Audienz gewährt, weil ich darauf warten mußte, bis sich Euer verwegener Bruder hier blicken ließ und ich ihn befragen
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