Im Koma
ein paar Tagen eh tot. »Darf ich mich noch von Casey verabschieden?« »Selbstverständlich. Nimm dir so viel Zeit, wie du möchtest.«
Casey stellte sich vor, wie Warren Patsys Koffer die Treppe hinuntertrug, während Patsy den Raum betrat und sich am Fußende von Caseys Bett aufbaute. Sie spürte, wie sich ihre Blicke in ihren Kopf bohrten. »Hexe«, zischte Patsy.
Und dann war sie weg.
»Na, das hat doch alles in allem ganz gut geklappt«, sagte Warren ein paar Minuten später, zog sich einen Sessel an ihr Bett und machte es sich bequem. »Mrs. Singer hat am Wochenende frei, Patsy ist von der Bildfläche verschwunden, Gail ist nicht in der Stadt, und um Janine muss ich mir zumindest für die nächsten paar Tage auch keine Sorgen machen. Sieht ganz so aus, als würde alles für Sonntag sprechen. Das ist übermorgen, nur für den Fall, dass dich das interessiert.«
Übermorgen, wiederholte Casey. Wo war Drew? Sie hatte nur noch einen Tag, um sie zu alarmieren.
»Morgen kommt eine Privatkrankenschwester, später auch noch mal der Arzt, um dir eine Spritze zu geben. Damit du nicht so aufgekratzt bist, wenn Drew zu Besuch kommt«, sagte Warren, als stünden ihr die Gedanken auf die Stirn geschrieben. »Deshalb sollten wir einfach versuchen, uns zu entspannen, okay?« Er nahm ihre Hand, führte sie an die Lippen und küsste sie. »Bald ist es vorbei.«
KAPITEL 29
Sie träumte, sie säße auf dem Passagiersitz einer zweimotorigen Cessna, die in Turbulenzen und außer Kontrolle geriet, sodass die Passagiere in die dünne kalte Luft katapultiert wurden wie zwei Kanonenkugeln.
»Daddy!«, schrie Casey, als sie sah, wie ihre Mutter in ihrem rosafarbenen Chiffonkleid einen Purzelbaum in der Luft schlug, eine betrunkene Alice im Wunderland, die in dem Kaninchenloch verschwand.
»Entspann dich, Goldköpfchen!«, mahnte die Stimme ihres Vaters hinter einer aschfarbenen Wolke. »Fass meine Hand.«
Casey streckte den Arm so weit aus, wie sie konnte, und tastete in Erwartung des sicheren Griffs ihres Vaters ins Leere. Ihre Finger berührten nichts, klammerten sich an niemanden, bis ihr klar wurde, dass ihr Vater nicht da war. Er war nie da gewesen.
Er konnte sie nicht retten.
Niemand konnte sie retten.
Casey lag in ihrem Bett und wachte benommen auf. Ihr Kopf fühlte sich an wie Watte, aber sie begriff, dass sie, auch wenn sie nicht mehr dem Abgrund entgegenstürzte, nach wie vor in Gefahr war. Sie würde sterben, dachte sie und versuchte, sich vorzustellen, was ihre Eltern an jenem Nachmittag empfunden hatten, als ihr Flugzeug in die Chesapeake Bay gestürzt war.
Ihr wurde bewusst, dass sie vorher nie ernsthaft darüber nachgedacht hatte, nie lange genug innegehalten hatte, um im Geist jenes schicksalhafte Flugzeug zu besteigen und sich vorzustellen, was ihre Eltern gedacht haben mussten, als ihr Flieger ins Trudeln geriet, bevor er ins Meer stürzte. Hatte ihre Mutter hilflos mit den Armen gerudert und vor Angst geweint? Hatte sie ihren Mann beschimpft und in panischer Wut auf ihn eingeschlagen oder hatte sie versucht, ihn zu umarmen und ihn ein letztes Mal zu halten, als die Wellen um sie herum schon anschwollen wie ein irrer Chor, der sie willkommen hieß? War ihre Mutter überhaupt bei Bewusstsein gewesen oder kurz nach Beginn des Fluges erschöpft und betrunken eingeschlafen, sodass ihr Kopf willenlos von einer Seite zur anderen rollte, während ihr Vater hektisch an den Schaltern drehte? War er zu betrunken gewesen, um das Ausmaß der Gefahr zu erkennen, in der sie schwebten? Hatte er in seinen letzten Momenten überhaupt an seine Töchter gedacht? Hatte einer von ihnen an sie gedacht?
Spielte es eine Rolle, fragte Casey sich jetzt.
Spielte irgendwas eine Rolle?
Hatte sie irgendjemandem je etwas bedeutet?
Ihr Vater hatte sie nur als Spiegelbild seiner eigenen Errungenschaften geliebt. Ihre Mutter war zu selbstbezogen gewesen, um diese Liebe mit irgendjemandem zu teilen. Die Liebe ihrer Schwester war immer getrübt von einer ebenso starken Abneigung. Und Warren? Er liebte ihr Geld, dachte Casey wehmütig.
Und dann war da noch Janine, ihre ehemalige Mitbewohnerin und Geschäftspartnerin, vermeintlich eine ihrer engsten Freundinnen. Ja, sie hatten im Laufe der Jahre etliche Meinungsverschiedenheiten gehabt, hatten gelegentlich gestritten und sich Dinge an den Kopf geworfen, die sie später bedauert hatten. Aber nie hatte Casey sich dieses Ausmaß an Wut vorstellen können, hätte sich nie auch nur
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