Im Koma
Casey das kalte Glas in die Hand. »Pass auf, dass du nichts verschüttest. Und nicht davon trinken. Hast du mich verstanden?«
Casey nickte und ging langsam die breite Wendeltreppe in der Mitte der Eingangshalle hinauf. An diesem Tag war es sehr still im Haus. Sie hatte mitbekommen, wie Maya sich am Telefon darüber beklagte, dass die Haushälterin sich am Morgen krankgemeldet hatte, sodass sie als Chefköchin und Flaschenspülerin im Doppeleinsatz sei - obwohl sie nicht beobachtet hatte, dass Maya irgendwelche Flaschen gespült hätte, dachte Casey, während sie behutsam die mit grün-braunem Teppich belegten Stufen hinaufstieg. Ein Tropfen der klaren Flüssigkeit spritzte auf Caseys Handrücken, und sie leckte ihn ab, bevor er auf den Boden fallen konnte. Er schmeckte bitter wie Medizin, sodass Casey das Gesicht verzog und sich fragte, ob Alana krank war und sie deswegen nicht aus ihrem Glas trinken durfte.
Sie klopfte leise an die Schlafzimmertür.
»Das wird auch langsam Zeit«, fauchte die Frau von drinnen. »Was zum Teufel hast du den ganzen Vormittag über gemacht?«
Casey trat ein. Die Frau namens Alana saß umgeben von weißen Spitzenkissen in ihrem Himmelbett aus dunkler Eiche. Die schweren Brokatvorhänge vor dem Fenster auf der einen Seite des Raumes waren offen, die vor dem anderen Fenster zugezogen, was den Eindruck erzeugte, die Wände des großen Schlafzimmers würden ein wenig schief stehen. Alana trug ein rosafarbenes Negligee; ihr Haar wurde von einem breiten, rosafarbenen Stirnband nach hinten gehalten, sodass die Spitzen auf Höhe des tiefen Ausschnitts waren.
»Oh«, sagte sie. »Du bist's.«
»Ich bringe dein Wasser.« Casey streckte die Hand mit dem Glas aus. »Na, dann komm schon her. Denkst du, ich hab drei Meter lange Arme?« »Bist du krank?« Casey gab Alana das Glas.
Sie trank sofort einen großen Schluck. Dann musterte sie Casey über den Rand des Glases hinweg und trank weiter, ohne ein Wort zu sagen, nicht einmal danke.
»Bist du meine Mutter?«
»Was?«
»Bist du meine Mutter?«
»Natürlich bin ich deine Mutter. Was ist los mit dir?«
Casey und ihre Mutter wechselten besorgte Blicke.
»Aber nenn mich vor anderen Leuten bloß nie so«, wies Alana sie an.
Casey wusste nicht, wer mit den »anderen Leuten« gemeint sein könnte, traute sich jedoch nicht, das zu sagen. »Wie soll ich dich denn nennen?«, fragte sie stattdessen.
Ihre Mutter leerte das Glas mit einem letzten großen Schluck, warf ihre Decke beiseite und schwang die Füße aus dem Bett, ohne Caseys Frage zu beantworten. »Hilf mir, ins Bad zu kommen«, sagte sie.
»Du bist aber dick!«, rief Casey kichernd, als sie den aufgedunsenen, runden Bauch ihrer Mutter sah.
»Sei nicht so ein Klugscheißer.«
Casey fasste die Hand ihrer Mutter und führte sie in das angrenzende, in rosafarbenem Marmor gehaltene Bad. »Was ist ein Klugscheißer?«
»Kleine Mädchen, die dumme Sachen sagen.«
Casey wusste nicht, was an ihrer Feststellung so dumm gewesen war, doch der Tadel ihrer Mutter traf sie, sodass sie nichts weiter sagte.
Alana übergab sich in der Toilette und ging wieder ins Bett. »Schick mir Maya, sie soll mir noch einen Drink bringen«, sagte sie, bevor sie sich die rosefarbene Bettdecke über den Kopf zog.
»Deine Mutter bekommt ein Kind«, erklärte Maya ihr später. »Ich glaube, sie ist nicht besonders glücklich darüber.«
»Warum nicht?«
»Ich glaube, Mutter sein ist nicht so ihr Ding.«
»Was ist denn ihr Ding?«, fragte Casey, ohne genau zu wissen, worüber sie sprachen, was ihr mit Maya häufig so ging. Trotzdem war Maya die einzige Erwachsene, die ihr überhaupt regelmäßig Aufmerksamkeit schenkte, sodass Casey hoffte, keine allzu dumme Frage gestellt zu haben, weil sie nicht wollte, dass Maya sie für einen Klugscheißer hielt.
»Deine Mutter ist eine sehr komplizierte Frau«, sagte Maya, ohne das weiter auszuführen.
»Ich wünschte, du wärst meine Mutter«, erklärte Casey ihr.
Und dann war Maya auf einmal weg, um wenig später durch das nicht besonders dynamische Duo Shauna und Leslie ersetzt zu werden, Erstere ein dunkelhaariger Teenager aus Irland, der auf Casey aufpassen sollte, Letztere ein vollbusiges Barmädchen aus London, das sich für das neue Baby zuständig fühlen sollte, jedoch mehr Zeit damit verbrachte, sich um Caseys Vater zu kümmern. Leslie wurde rasch durch Rosie abgelöst, die Tochter des portugiesischen Gärtners. Aber auch sie widmete sich häufiger Caseys
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