Im Koma
ist«, fuhr Patsy fröhlich fort. »Erzählen Sie Ihrem Mann aber nicht, dass ich das gesagt habe.« Sie kicherte. »Der letzte Strauß ist jedenfalls von den guten Ärzten und Schwestern im Pennsylvania Hospital. Ich nehme an, man vermisst Sie.«
Sie war wirklich zu Hause, dachte Casey. Sie hatte den Umzug nicht geträumt. Sie war tatsächlich hier.
»Sehr aufmerksam von denen, Blumen zu schicken, wenn Sie mich fragen. Aber mich fragt ja eh keiner. Ist Ihnen aufgefallen, dass die Pflegerinnen auf der Karte nicht erwähnt werden. Niemand denkt je an uns. Ich hätte wohl besser die Schule abgeschlossen und ein Diplom gemacht, aber ich dachte... Verdammt, wer weiß, was ich gedacht habe? Wahrscheinlich habe ich gar nicht nachgedacht. Das würde meine Mutter jedenfalls sagen. Das sagt sie immer, wenn es um mich geht.« Vorhänge wurden aufgezogen. »Was halten Sie davon, ein bisschen Licht reinzulassen. So. Das ist viel besser. Sie haben eine so schöne Aussicht.«
Casey war ganz Patsys Meinung. Sie hatte die Aussicht aus diesem Fenster immer geliebt, was auch der Grund war, warum sie sich von den sieben verfügbaren Schlafzimmern für dieses entschieden hatte. Drew hatte das Zimmer auch gewollt, aber Casey war vor ihr da gewesen. Wie immer, musste sie mit dem nagenden Schuldgefühl zugeben, das sie jedes Mal überkam, wenn sie an ihre jüngere Schwester dachte.
»Das kann man ihr nicht verdenken, nehme ich an«, fuhr Patsy fort, offensichtlich ganz zufrieden mit dem einseitigen Gespräch. »Meiner Mutter, meine ich. Ich habe in meinem Leben schon ein paar ziemlich dumme Entscheidungen getroffen. Mit dreizehn meine Unschuld an diesen Blödmann Marty Price zu verlieren. Mit sechzehn von der Schule abzugehen. Mit achtzehn Jeff zu heiraten. Meine Krankenschwester-Ausbildung nicht fertig zu machen. Zwei volle Jahre darauf zu warten, dass Johnny Tuttle seine Frau verlässt, was er natürlich nie vorhatte. Und falls wir es vergessen haben - und glauben Sie mir, meine Mutter wird verhindern, dass ich das jemals vergesse -, ein Date mit David Frey auszuschlagen, der so ein Computerfreak mit Akne und schlechten Zähnen war, der in unserer Straße wohnte und später irgendein blödes Brettspiel erfunden hat, das - konnte man es ahnen? - ein Monstererfolg wurde, mit dem er Trillionen Dollar verdient hat. Seine Haut ist besser geworden, und er hat sich die Zähne richten lassen und sieht inzwischen eigentlich ziemlich klasse aus. Aber jetzt geht er natürlich nur noch mit Starlets und reichen Erbinnen aus. Vor ein paar Wochen war sogar ein Foto von ihm in Us Weekly, am Arm dieser Tussi aus der Fernsehserie, in der alle vor der Küste von Afrika Schiffbruch erleiden. Meine Mutter war so aufmerksam, mir eine Kopie zu schicken.« Patsy lachte. »Es geht doch wirklich nichts über Mütter.«
Da werde ich Ihnen bestimmt nicht widersprechen.
Bilder von Alana Lerner kreisten um ihren Kopf wie summende Fliegen. Alana mit einem Champagnerglas aus Kristall in der Hand; Alana, die abwesend ihr langes blondes Haar bürstete; Alana, die Casey ungeduldig wegstieß, wenn sie versuchte, sich an sie zu kuscheln; Alana herausgeputzt und ausgehfertig; Alanas aufgedunsene Leiche, als man sie aus der Chesapeake Bay zog.
Casey hatte ihre Mutter lieben wollen; sie hatte es immer wieder versucht, nur um jedes Mal zurückgestoßen zu werden. Trotzdem hatte sie geweint, als sie ihre Leiche identifizieren musste.
Im Gegensatz zu Drew.
»Jetzt komm schon, Casey. Erwartest du, dass ich große Gefühle heuchle?« »Ich erwarte, dass du ein wenig Respekt zeigst.« »Dann erwartest du zu viel.«
Hatte sie vielleicht bis zum heutigen Tag immer zu viel von Drew erwartet, fragte Casey sich jetzt. Oder erwartete sie im Gegenteil nicht genug von ihr?
»Ihre Mutter war wirklich eine Schönheit«, sagte Patsy, als sie Caseys Kopf unsanft anhob, um das Kissen auszuschütteln, bevor sie ihn wieder fallen ließ. »Warren hat mir ein paar alte Fotos von ihr gezeigt. Auf einem trägt sie ein langes, mit Perlen besetztes Kleid und ein Diamantdiadem. Ein Diadem, meine Güte, als war sie die verdammte Königin von England.« Sie lachte erneut. »Wohl eher eine Drama-Queen.«
Ein weiteres Bild flackerte auf der dunklen Leinwand vor Caseys Augen auf: Alana, die in dem mit Champagner bekleckerten Perlenkleid, das Diadem leicht nach rechts verrutscht, blauschwarze Streifen von Wimperntusche auf den Wangen, in Richtung Bett wankte, gefolgt von Ronald Lerner und unbemerkt
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