Im Krebsgang
genug.
Das mag stimmen. Die Wilhelm Gustloff soll, als sie
ganz in Weiß endlich fertiggestellt auf Jungfernfahrt ging, vom
Bug bis zum Heck ein schwimmendes Erlebnis gewesen sein.
Das war selbst von Leuten zu hören, die sich nach dem Krieg als
von Anfang an überzeugte Antifaschisten aufgespielt haben. Und
diejenigen, die an Bord durften, sollen hinterher wie erleuchtet an
Land gegangen sein.
Schon zur zweitägigen Probefahrt, bei allerdings stürmischem
Wetter, hatte man Arbeiter und Angestellte von Blohm&Voss
eingeschifft, außerdem Verkäuferinnen der
Konsumgenossenschaft Hamburg. Doch als die Gustloff am 24. März
achtunddreißig für drei Tage in See stach, zählten zu
den Passagieren rund tausend Österreicher, die von der Partei
gesiebt worden waren, denn zwei Wochen später sollte das Volk der
Ostmark über etwas abstimmen, was die Wehrmacht durch zügigen
Einmarsch bereits vollzogen hatte: den Anschluß Österreichs.
Gleichfalls kamen dreihundert Mädchen aus Hamburg -
ausgewählte Mitglieder des BdM - und weit über hundert
Journalisten an Bord.
Nur spaßeshalber und um mich auszuprobieren, versuche ich jetzt,
mir vorzustellen, wie meine Wenigkeit als Journalist reagiert
hätte, als gleich zu Beginn der Reise ein Presseempfang im Fest-
und Kinosaal des Schiffes auf dem Programm stand. Zwar bin ich, wie
Mutter sagt und Gabi weiß, alles andere als ein Held, aber
vielleicht wäre ich doch so vorwitzig gewesen, nach der
Finanzierung des Neubaus und dem Vermögen der Deutschen
Arbeitsfront zu fragen, denn wie die anderen Journalisten hätte
ich wissen können, daß Ley, dieser Vielversprecher, nur mit
Hilfe der abgeräumten Guthaben aller verbotenen Gewerkschaften
solch große Sprünge machen konnte.
Verspätete Mutproben! Wie ich mich kenne, wäre mir allenfalls
eine verklausulierte Frage nach dem restlichen Kapital über die
Lippen gekommen, worauf mir der durch nichts zu beirrende
KdF-Reiseleiter prompt geantwortet hätte: Die Deutsche
Arbeitsfront schwimme, wie man ja sehe, im Geld. Schon in wenigen Tagen
werde bei der Howaldt-Werft sogar ein riesiges Elektromotorschiff vom
Stapel laufen und, wie man jetzt schon vermuten dürfe, auf den
Namen Robert Ley getauft werden.
Dann begann für die bestellte Journalistenhorde die
Schiffsbesichtigung. Weitere Fragen wurden verschluckt. Auch ich, der
während realer Berufstätigkeit keinen Skandal aufgedeckt, nie
eine Leiche im Keller, weder Mauscheleien mit Spendengeldern noch
geschmierte Minister ausfindig gemacht hat, hätte als
zurückdatierter Journalist wie alle anderen das Maul gehalten. Nur
pflichtschuldig staunen durften wir von Deck zu Deck. Bis auf die
Extrakabinen für Hitler, für Ley, die nicht zur Besichtigung
freigegeben wurden, war das Schiff säuberlich klassenlos
eingerichtet. Wenngleich ich alle Details nur von Fotos her und aus
überliefertem Material kenne, kommt es mir dennoch vor, als sei
ich begeistert und zugleich schwitzend vor Feigheit dabeigewesen.
Ich sah das geräumige, von lästigen Aufbauten freie
Sonnendeck, sah Duschkabinen und sanitäre Einrichtungen. Ich sah
und notierte beflissen. Später konnten wir uns im Unteren
Promenadendeck an makellosen Schleiflackwänden und in den
Gesellschaftsräumen an der Nußbaumtäfelung erfreuen.
Staunend sahen wir die Festhalle, den Trachtensaal, die Deutschland-
und die Musikhalle. In allen Sälen hingen Bilder des Führers,
der über uns weg ernst, aber entschlossen in die Zukunft sah. In
einigen Sälen durfte in kleinerem Format Robert Ley Blickfang
sein. Doch überwiegend bestand der Bildschmuck aus altmeisterlich
in Öl gemalten Landschaften. Wir fragten nach den Namen der
zeitgenössischen Künstler und machten Notizen.
Als zwischendurch zu einem frisch gezapften Bier eingeladen wurde,
lernte ich das dekadente Wort »Bar« zu vermeiden und
schrieb später nach altdeutscher Wortwahl über die
»sieben gemütlichen Schänken« an Bord des
KdF-Schiffes.
Danach wurden wir mit Zahlen eingedeckt. Nur soviel: Im
Küchenbereich des A-Decks konnten mit Hilfe einer hypermodernen
Tellerwaschanlage tagtäglich 35 000 schmutzige Teller blitzblank
werden. Wir erfuhren, daß auf jeder Seereise 3 400 Tonnen
Trinkwasser vorrätig seien, denen ein Hochtank im Inneren des
einzigen Schornsteins als Wasserwerk diene. Als wir das E-Deck
besichtigten, wo die Hamburger BdM-Mädel die, wie es hieß,
»schwimmende Jugendherberge« mit ihren Kojen bezogen
hatten, sahen wir die im gleichen Deck liegende Schwimmhalle,
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