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Im Krebsgang

Im Krebsgang

Titel: Im Krebsgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Konny
besuchsweise, und als ich, um mit ihm ins Gespräch zu kommen,
väterlich beiläufig meinen Bericht über die
bevorstehenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein erwähnte,
bekam ich zu hören: »Ist doch Schwindel alles. Ob in der
Wall Street oder hier: überall herrscht die Plutokratie, regiert
das Geld!«
Nach der ersten Madeira-Reise, bei der Kapitän Lübbe starb
und ab Lissabon für den Rest der Fahrt Kapitän Petersen das
Kommando übernahm, begannen, nun unter Kapitän Heinrich
Bertram, die sommerlichen Norwegenreisen. Insgesamt waren es elf, die
jeweils fünf Tage dauerten und - weil besonders beliebt - schnell
ausgebucht waren. Auch im folgenden Jahr gehörten sie zum
KdF-Programm. Und bei einer dieser letzten Schiffstouren in die Fjorde
hinein - ich nehme an, es war die vorletzte, Mitte August -, sind
Mutters Eltern an Bord gewesen.
Eigentlich hatte sich die Langfuhrer Kreisleitung der Partei als
Norwegenreisende den Tischlermeister Liebenau und dessen Frau
ausgeguckt, weil dem Meister ein Schäferhund namens Harras
gehörte, dem es gelungen war, im Zwinger der freistaatlichen
Schutzpolizei eine Hündin zu decken, aus deren Wurf des
Führers Lieblingshund Prinz, ein Geschenk der Gauleitung,
hervorging, weshalb der Zuchtrüde Harras mehrmals im
»Danziger Vorposten« erwähnt wurde. Dieses
Märchen hat mir Mutter von Kindheit an vorgesungen: ihre
Hundegeschichte samt Stammbaum von der Länge eines Romans. Immer
wenn es um den Hund ging, ging es auch um das Kind Tulla. Zum Beispiel
will Mutter sich, als sie sieben war und ihr Bruder Konrad beim Baden
in der Ostsee ertrank, eine Woche lang in die Hütte des
Tischlereihundes verkrochen haben. Kein Wort sei von ihr während
Tagen zu hören gewesen. »Sogar aus sain Blechnapf hab ech
jefressen. Kaldaunen! Na, was son Hund kriegt. Das war denn maine
Hundehittenwoche, wo ech kain Wort nich jesagt hab, so weh hat mir das
jetan mit onserm Konrad. Der is von Jeburt an taubstumm
jewesen...«
Doch als dem Hundehalter Liebenau, dessen Sohn Harry Mutters Cousin
gewesen ist, die Norwegenreise auf dem allseits beliebten KdF-Schiff
angeboten wurde, verzichtete er unter Bedauern, weil seine Tischlerei
Hochkonjunktur hatte: Barackenausbau in Flughafennähe. Er schlug
dem Kreisleiter der Partei vor, seinen tüchtigen Hilfsarbeiter,
den eifrigen Parteigenossen August Pokriefke, und dessen Frau Erna
reisen zu lassen. Die Kosten für die Kabinenplätze und die
ohnehin verbilligten Fahrkarten nach Hamburg, hin und zurück,
werde er aus der Betriebskasse begleichen.
»Wenns die Fotos noch jäb, die auffe Justloff jeknipst
wurden, kennt ech diä zaigen, was die alles jesehn ham in die paar
Tage nur...« Besonders soll Tullas Mutter vom Trachtensaal, dem
Wintergarten, dem morgendlichen Gemeinschaftssingen und der am Abend
aufspielenden Bordkapelle geschwärmt haben. Leider sei in keinem
der Fjorde Landgang erlaubt gewesen, womöglich der im Reich streng
bewirtschafteten Devisen wegen. Aber auf einem der Fotos, das wie all
die anderen Schnappschüsse mitsamt dem Album verlorengegangen sei,
»als es mittem Schiff zu End jing«, habe man August
Pokriefke zwischen einer norwegischen Trachtengruppe, die auf Besuch
hätte an Bord kommen dürfen, lachen und tanzen sehen.
»Main Papa, der em Prinzip ain janz Lustiger jewesen is, war, als
er von Norwejen zurickkam, bejeistert von frieh bis spät. Der war
nu ain Hundertfuffzigprozentijer. Ond deswegen wollt er, daß ech
bai de Jungmädels mecht Mitglied werden. Aber ech wollt nich. Och
später nich, als wir ins Raich heimjeholt wurden ond alle
Mädels im Bädeem rainjemußt ham...«
Wird wohl stimmen, was Mutter behauptet hat. Sie ließ sich nicht
organisieren. War alles immer nur freiwillig. Doch selbst als
SED-Mitglied und ziemlich erfolgreiche Leiterin einer
Tischlereibrigade, die tonnenweise Schlafzimmermöbel für die
Russen produziert hat und auch später beim Innenausbau des
Plattenprojekts Großer Dreesch zumeist überm Soll lag, hat
sie sich Schwierigkeiten eingehandelt, weil sie sich überall von
Revisionisten und ähnlichen Klassenfeinden umstellt sah. Aber
daß ich aus freien Stücken Mitglied der FDJ geworden war,
paßte ihr auch nicht: »Raicht das nich, wenn ech miä
hier fier die Schufte abrackern muß!«
Mein Sohn hat offenbar eine Menge von Mutter mitbekommen. Es
müssen die Gene sein, wie meine Ehemalige annimmt. Jedenfalls
wollte Konny nirgendwo, nicht mal im Ratzeburger Ruderclub oder - wie
Gabi ihm geraten hat - bei

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