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Im Krebsgang

Im Krebsgang

Titel: Im Krebsgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Staatsrat Blohm, und der
Betriebszellenobmann Pauly. Natürlich stand Robert Ley ihm zur
Seite. Aber auch andere Parteigrößen. Hamburgs Gauleiter
Kaufmann, Schwerin-Mecklenburgs Hildebrandt durften dabeisein. Die
Kriegsmarine war durch Admiral Raeder vertreten. Und von Davos aus
hatte der Ortsgruppenleiter der NSDAP, Böhme, die lange Reise
nicht gescheut.
    Es wurden Reden gehalten. Er hielt sich diesmal
zurück. Nach Kaufmann sprach der Betriebsführer der Werft
Blohm&Voss: »Ihnen, mein Führer, melde ich im Namen der
Werft: Das Urlaubsschiff, Baunummer 511, fertig zum Stapellauf!«
    Alles andere gestrichen. Vielleicht aber sollte ich
einige Rosinen aus Robert Leys Taufrede picken. Die frischfreie Anrede
hieß: »Deutsche Menschen!« Und dann hat er
weitausholend seine volksbetreuende Idee »Kraft durch
Freude« gefeiert, um schließlich deren Anstifter zu nennen:
»Der Führer gab mir damals den Befehl: »Sorgen Sie
dafür, daß der deutsche Arbeiter seinen Urlaub bekommt,
damit er seine Nerven behält, denn ich könnte tun und lassen,
was ich wollte, es wäre zwecklos, wenn das deutsche Volk seine
Nerven nicht in Ordnung hätte. Es kommt darauf an, daß die
deutschen Massen, der deutsche Arbeiter stark genug sind, um meine
Gedanken zu begreifen.«
    Als die Witwe wenig später die Taufe mit den
Worten »Ich taufe dich auf den Namen Wilhelm Gustloff«
vollzog, übertönte der Jubel der nervenstarken Masse das
Klirren der Sektflasche am Bug des Schiffes. Beide Lieder wurden
gesungen, während sich der Neubau von der Helling löste...
Mir aber, dem Überlebenden der Gustloff, schiebt sich bei jedem
Stapellauf, bei dem ich als Journalist zur Stelle sein muß oder
den ich im Fernsehen erlebe, der Untergang des bei schönstem
Maiwetter getauften und vom Stapel gelaufenen Schiffes ins Bild.
    Etwa um diese Zeit, als David Frankfurter schon im
Churer Sennhof-Gefängnis einsaß und in Hamburg die
Sektflasche in Scherben ging, befand sich Alexander Marinesko entweder
in Leningrad oder Kronstadt auf Kommandeurkurs. Jedenfalls war er, laut
Befehl, vom Schwarzen Meer an den östlichen Rand der Ostsee
verlegt worden. Schon im Sommer, und während die von Stalin
angeordneten Säuberungsprozesse die Admiralität der
Baltischen Flotte nicht verschonten, wurde er Kommandant eines U-Bootes.
    M 96 gehörte zu einer älteren
Bootsklasse, war für Fahrten und Kampfeinsätze in
Küstengewässern geeignet. Ich lese den mir zugänglichen
Infos ab, daß M 96 mit zweihundertfünfzig Tonnen
Wasserverdrängung und fünfundvierzig Meter Länge ein
eher kleines Boot mit achtzehn Mann Besatzung an Bord war. Lange blieb
Marinesko Kommandant dieser bis in den Finnischen Meerbusen hinein
operierenden, mit nur zwei Torpedorohren bestückten
Schiffseinheit. Ich nehme an, daß er in Küstennähe
immer wieder den Überwasserangriff und danach das schnelle
Abtauchen geübt hat.
3
    Während der Innenraum vom untersten, dem
E-Deck bis zum Sonnendeck, dem Schornstein, der Kommandobrücke und
der Funkstation ausgebaut wurde und entlang der baltischen Küste
Tauchübungen stattfanden, vergingen in Chur elf Monate Haftzeit;
erst dann konnte das Schiff vom Ausrüstungskai ablegen und
elbabwärts zur Probefahrt in die Nordsee auslaufen. Also warte
ich, bis nach dem gegenwärtigen Sekundenschwund wieder die
Erzählzeit abgespult werden kann. Oder soll ich inzwischen mit
jemandem, dessen Nörgeln nicht zu überhören ist, einen
Streit riskieren?
    Er verlangt deutliche Erinnerungen. Er will wissen,
wie ich Mutter als Kind etwa ab meinem dritten Lebensjahr gesehen,
gerochen, betastet habe. Er sagt: »Die ersten Eindrücke sind
für das weitere Leben bestimmend.« Ich sage: »Da
gibt's nichts zu erinnern.
    Als ich drei war, hatte sie gerade ihre
Tischlerlehre abgeschlossen. Na schön, Hobelspäne und
Holzklötze, die sie mir aus der Werkstatt mitbrachte, hab ich
langgelockt und getürmt einstürzend vor Augen. Ich spielte
mit Spänen und Klötzen. Und sonst? Mutter roch nach
Knochenleim. Überall wo sie gestanden, gesessen, gelegen hatte - o
Gott, ihr Bett! -, hielt sich dieser Geruch. Ich aber wurde, weil es
noch keine Krippe gab, zuerst bei einer Nachbarin, dann in einem
Kindergarten abgestellt. So lief das nun mal bei berufstätigen
Müttern überall im Arbeiter- und Bauern-Staat, nicht nur in
Schwerin. Kann mich an dicke und dürre Weiber erinnern, die uns
rumkommandierten, auch an Griesbrei, in dem der Löffel
stand.«
    Doch Erinnerungsbrocken wie diese machen

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