Im Krebsgang
deren
Becken sechzig Tonnen Wasser faßte. Und weiteres Zahlenmaterial,
das ich nicht mehr notierte. Einige von uns waren froh, daß ihnen
die Anzahl der Kacheln und Einzelteile eines farbigen Glasmosaiks, das
von fischleibigen Jungfrauen und fabelhaftem Seegetier bevölkert
war, erspart wurde.
Nur weil ich seit meiner von Mutter bestimmten Kindheit weiß,
daß der zweite Torpedo das Bad und dessen Kacheln und
Mosaikscherben in Geschosse verwandelt hat, könnte mir angesichts
des Schwimmbeckens, in dem sich ein fleischiger Schwarm Jungmädel
vergnügte, doch noch die Frage eingefallen sein, wie tief das Bad
unterhalb der Wasserlinie liege. Und auf dem Oberdeck wären mir
vielleicht die zweiundzwanzig Rettungsboote nicht ausreichend
vorgekommen. Aber ich bohrte nicht nach, beschwor keinen
Katastrophenfall, sah nicht voraus, was sieben Jahre später in
eisiger Kriegsnacht geschah, als nicht, wie in Friedenszeiten
vorgesehen, knapp fünfzehnhundert unbeschwert von Alltagssorgen an
Bord waren, sondern an die zehntausend Seelen ihr mögliches Ende
ahnten und in nur zu schätzender Zahl erlebten; vielmehr
flötete ich, sei es als Journalist des »Völkischen
Beobachter«, sei es als Korrespondent der gediegenen
»Frankfurter Zeitung«, in höchsten oder sachlich
gedämpften Tönen eine Hymne auf die schmucken Rettungsboote
des Schiffes, als wären sie eine freundliche Zugabe der
Organisation »Kraft durch Freude« gewesen.
Wenig später jedoch mußte eines der Boote zu Wasser gelassen
werden. Bald darauf noch eines. Und das geschah nicht übungshalber.
Bei ihrer zweiten Fahrt, diesmal zur Straße
von Dover hin, geriet die Gustloff in einen Nordweststurm und empfing,
während sie mit voller Kraft gegen schwere See anging, den SOS-Ruf
des englischen Kohlendampfers Pegaway, dessen Ladeluke zerschlagen war,
das Ruder gebrochen. Sogleich befahl Kapitän Lübbe, der zu
Beginn der nächsten KdF-Reise, die die Insel Madeira zum Ziel
hatte, an Herzschlag starb, Kurs auf die Unglücksstelle zu nehmen.
Bei Dunkelheit wurde zwei Stunden später die bereits tiefliegende
Pegaway mit dem Suchscheinwerfer entdeckt. Erst am frühen Morgen
gelang es, trotz des zunehmenden Nordweststurms eines der
zweiundzwanzig Rettungsboote zu Wasser zu lassen, das aber von einer
Kreuzsee gegen die Bordwand des Schiffes geworfen wurde, worauf es
schwer beschädigt abtrieb. Sofort ließ Kapitän
Lübbe eine Motorbarkasse aussetzen, der es nach mehreren
Anläufen gelang, neunzehn Seeleute zu übernehmen und bei
inzwischen wieder abflauendem Sturm in Sicherheit zu bringen.
Schließlich konnte auch das abgetriebene Ruderboot gesichtet und
dessen Besatzung geborgen werden.
Darüber ist geschrieben worden. In- und
ausländische Zeitungen lobten die Rettungstat. Aber
ausführlich und aus zeitlicher Distanz tat das allein Heinz
Schön. Er hat, wie ich es jetzt tue, den Wust der Zeitungsberichte
von damals ausgewertet. Sein Werdegang ist wie meiner auf das
Unglücksschiff fixiert. Knapp ein Jahr vor Kriegsende kam er als
Zahlmeisterassistent auf die Gustloff. Eigentlich hatte Heinz
Schön nach erfolgreichem Aufstieg in der Marine-Hitlerjugend zur
Kriegsmarine gewollt, doch mußte er, seiner schwachen Augen
wegen, bei der Handelsmarine anmustern. Da er den Untergang des
KdFPassagier, dann Lazarett-, darauf Kasernen- und schließlich
Flüchtlingstransportschiffes überlebte, begann er nach dem
Krieg alles zu sammeln und aufzuschreiben, was die Gustloff in guten
und schlechten Zeiten betraf. Er kannte nur dieses eine Thema; oder es
hatte einzig dieses Thema von ihm Besitz ergriffen.
Bin deshalb sicher: Mutter hätte von Anfang an ihre Freude an Heinz Schön gehabt.
Doch in der DDR waren seine Bücher, die im Westen einen Verleger fanden, unerwünscht.
Wer seine Berichte gelesen hatte, blieb stumm. Ob hier oder
drüben, Schöns Auskünfte waren nicht gefragt. Selbst als
mit Hilfe seiner beratenden Assistenz gegen Ende der fünfziger
Jahre ein Film - »Nacht fiel über Gotenhafen« -
gedreht wurde, blieb das Echo mäßig. Zwar gab's vor gar
nicht so langer Zeit im Fernsehen eine Dokumentation, doch ist es immer
noch so, als könne nichts die Titanic übertreffen, als
hätte es das Schiff Wilhelm Gustloff nie gegeben, als fände
sich kein Platz für ein weiteres Unglück, als dürfte nur
jener und nicht dieser Toten gedacht werden.
Aber auch ich blieb stumm, hielt zurück, sparte mich aus,
mußte unter Druck gesetzt werden. Und wenn ich mich nun, als
gleichfalls
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