Im Krebsgang
jemand versuchte, sich als
Surfer von den Balearen oder aus Oslo zwischen ihr Zwiegespräch zu
drängen, mobten sie ihn raus: »Hau ab!« oder
»Komm später!«
Beide waren offenbar Tischtennisspieler, denn sie zeigten sich von dem
deutschen Pingpong-As Jörg Roßkopf begeistert, der, sagte
David, sogar einen chinesischen Meister geschlagen habe. Beide
beteuerten, für Fairplay zu sein. Und beide bewiesen sich als
Bescheidwisser, die ihre jeweils neuen Erkenntnisse wechselseitig
lobten: »Toll! Wo hast du dieses Gregor-Strasser-Zitat
her?« oder »Hab ich nicht gewußt, David, daß
Hildebrandt wegen linker Abweichung vom Führer abserviert, dann
aber auf Wunsch der braven Mecklenburger wieder als Gauleiter
eingesetzt worden ist.«
Man hätte sie für Freunde halten können, sosehr sie
bemüht blieben, ihren wechselseitigen Haß wie ein Soll
abzuarbeiten. Wilhelms in den Chatroom gestellte Frage
»Würdest du, wenn mich der Führer ins Leben
zurückriefe, abermals auf mich schießen?«,
beantwortete David umgehend: »Nein, nächstes Mal darfst du
mich abknallen.«
Mir dämmerte etwas. Und schon verabschiedete ich mich von der
Vorstellung, es sei ein einziger Webmaster geschickt im geisterhaften
Rollenspiel. Zwei Spaßvögeln saß ich auf, die es
blutig ernst meinten.
Später, als alle, die in der Sache
drinsteckten, sich ahnungslos gaben und auf entsetzt machten, habe ich
zu Mutter gesagt: »Mir kam das von Anfang an komisch vor. Wieso,
hab ich mich gefragt, sind heutzutage Jugendliche ganz verrückt
nach diesem Gustloff und all dem, was sonst noch mit ihm zu tun hat?
Denn daß das keine alten Knacker waren, die sich online die Zeit
vertrieben, na, Ewiggestrige wie du, war mir von Anfang an
klar...«
Mutter hat darauf nichts gesagt. Sie machte wie
immer, wenn ihr etwas zu nahe kam, ihr Binnichtzuhausegesicht, das
heißt, sie verdrehte die Augäpfel bis zum Gehtnichtmehr.
Ohnehin stand für sie fest, daß sowas nur passieren konnte,
weil man jahrzehntelang »ieber die Justloff nich reden jedurft
hat. Bai ons im Osten sowieso nich. Ond bai dir im Westen ham se, wenn
ieberhaupt von frieher, denn immerzu nur von andre schlimme Sachen, von
Auschwitz und sowas jeredet. Main Gottchen! Was ham die sich aufjeregt
bai ons im Parteikollektiv, als ech mal kurz was Positives ieber
Kaadeäffschiffe jesagt hab, daß nämlich die Justloff
ein klassenloses Schiff jewesen is...«
Und sogleich hatte sie wieder Mama und Papa am Wickel, unterwegs nach
Norwegen: »Maine Mama hat sich janich ainkriegen jekonnt, weil
nämlich im Spaisesaal alle Urlauber durchainander jesessen ham,
ainfache Arbaiter wie main Papa, aber och Beamte ond Parteibonzen
sogar. Muß fast wie bai ons inne Deedeär jewesen sain, nur
scheener noch...«
Das mit dem klassenlosen Schiff war wirklich ein
Knüller. Nehme an, daß deshalb die Werftarbeiter wie
verrückt gejubelt haben, als am 5. Mai siebenunddreißig der
Neubau, acht Stockwerke hoch, vom Stapel lief. Noch fehlten der
Schornstein, das Brücken- und das Peildeck. Ganz Hamburg war auf
den Beinen, zigtausend. Aber zur Schiffstaufe standen nah dran nur
zehntausend Volksgenossen, eingeladen von Ley persönlich.
Hitlers Sonderzug lief um zehn Uhr vormittags im
Dammtorbahnhof ein. Dann ging's im offenen Mercedes, mal mit
gestrecktem, mal mit gewinkeltem Arm grüßend, durch Hamburgs
Straßen, umjubelt, versteht sich. Von den Landungsbrücken
brachte ihn eine Barkasse zur Werft. Alle im Hafen liegenden Schiffe,
auch die ausländischen, hatten Fahnen gesetzt. Und die gesamte,
aus Charterschiffen bestehende KdF-Flotte, von der Sierra Cordoba bis
zur St. Louis, lag über die Toppen geflaggt vor Anker.
Ich will jetzt nicht aufzählen, was alles in
Kolonnen aufmarschiert war, wer zur Begrüßung mit den Hacken
geknallt hat. Unterhalb der Taufkanzel drängten grüßend
die Werftarbeiter, als er treppauf stieg. Bei der letzten freien Wahl,
vor vier Jahren noch, hatten die meisten von ihnen für die Sozis
oder Kommunisten gestimmt. Jetzt gab es nur noch die eine und einzige
Partei; und leibhaftig gab es den Führer.
Erst auf der Taufkanzel begegnete er der Witwe. Er
kannte Hedwig Gustloff aus frühester Kampfzeit. Bevor
dreiundzwanzig der Marsch zur Feldherrnhalle in München blutig
danebenging, war sie seine Sekretärin gewesen. Später, als er
in Landsberger Festungshaft saß, hatte sie in der Schweiz Arbeit
gesucht und ihren Ehemann gefunden.
Wer sonst noch auf die Kanzel durfte? Der
Betriebsführer der Werft,
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