Im Krebsgang
den Pfadfindern Mitglied werden. Von ihr
bekam ich zu hören: »Er ist ein typischer Einzelgänger,
schwer zu sozialisieren. Einige meiner Lehrerkollegen sagen, Konnys
Denken sei ausschließlich vergangenheitsbezogen, sosehr er sich
nach außen hin für technische Neuerungen interessiert,
für Computer und moderne Kommunikation zum Beispiel...«
Jadoch! Es ist Mutter gewesen, die meinem Sohn bald nach dem
Jubiläumstreffen der Überlebenden im Ostseebad Damp einen Mac
mit allem Drum und Dran geschenkt hat.
Knapp fünfzehn war er, als sie ihn süchtig werden ließ.
Sie, nur sie ist schuld, daß es mit dem Jungen danebenging.
Jedenfalls sind sich Gabi und ich darin immerhin einig: als Konny den
Computer geschenkt bekam, begann all das Unglück.
Menschen, die immer nur auf einen Punkt starren,
bis es kokelt, qualmt, zündelt, sind mir noch nie geheuer gewesen.
Gustloff, zum Beispiel, dem einzig des Führers Wille das Ziel
setzte, oder Marinesko, der in Friedenszeiten nur eines, das
Schiffeversenken übte, oder David Frankfurter, der eigentlich sich
selbst erschießen wollte, dann aber, um seinem Volk ein Zeichen
zu geben, eines anderen Fleisch mit vier Schüssen
durchlöcherte.
Über ihn, der von trauriger Gestalt war, hat
der Regisseur Rolf Lyssy Ende der sechziger Jahre einen Film gedreht.
Ich habe mir eine Kassette auf häuslicher Mattscheibe angeschaut;
in Kinos läuft der Schwarzweißfilm schon lange nicht mehr.
Lyssy geht ziemlich korrekt mit den Fakten um. Man sieht den
Medizinstudenten, der anfangs eine Baskenmütze, dann einen Hut
trägt, verzweifelt rauchen und Tabletten schlucken. Beim Kauf des
Revolvers in der Berner Altstadt kosten zwei Dutzend Patronen drei
Franken siebzig. Noch bevor Gustloff in Zivilkleidung sein
Arbeitszimmer betritt, setzt Frankfurter, anders als nach meiner
Version, wartend den Hut auf, wechselt vom Sessel auf einen Stuhl und
schießt dann mit Hut auf dem Kopf. Nachdem er sich dem
Polizeiposten Davos gestellt und sein Geständnis unbewegt, wie ein
auswendig gelerntes Schulgedicht aufgesagt hat, legt er als Beweis den
Revolver auf den Amtstisch.
Neues sagt der Film nicht. Interessant sind aber
Wochenschaueinblendungen, die den mit der Hakenkreuzfahne bekleideten
Sarg bei Schneefall zeigen. Ganz Schwerin ist verschneit, während
der Trauerzug seinen Weg nimmt. Anders als in den Berichten
grüßen nur wenige Zivilpersonen den Sarg mit erhobener Hand.
Der Schauspieler, der den Mörder Frankfurter darstellt, wirkt beim
Prozeß, zwischen zwei Kantonspolizisten gesetzt, ziemlich klein.
Er sagt: »Gustloff war der einzige, der für mich erreichbar
war...« Er sagt: »Den Bazillus wollte ich treffen, nicht
die Person...«
Ferner zeigt der Film, wie der Häftling
Frankfurter zwischen anderen Häftlingen tagtäglich an einem
Webstuhl arbeitet. Zeit vergeht. So wird deutlich, daß er im
Verlauf der ersten Haftjahre im Sennhof-Gefängnis Chur,
während gleichzeitig und wie in einem anderen Film der
U-Bootkommandant Alexander Marinesko in den Küstengewässern
der östlichen Ostsee das schnelle Abtauchen nach einem
Überwasserangriff übt und das KdF-Schiff Wilhelm Gustloff Mal
um Mal Norwegens Fjorde und die Mitternachtssonne zum Reiseziel hat,
langsam von seiner Knochenkrankheit gesundet: wohlgenährt,
pausbäckig sieht er aus und raucht nicht mehr.
Natürlich ist in Lyssys Film weder die
Gustloff noch das sowjetische Unterseeboot zu sehen; nur die mehrmals
eingeblendeten Webstühle lassen mittels Arbeitsgeräusch
ahnen, daß mit dem Zuwachs an schlichtem Gewebe Zeit vergeht. Und
immer wieder bescheinigt der Gefängnisarzt dem Häftling
Frankfurter, daß ihn der andauernde Zuchthausaufenthalt nach und
nach gesundmache. Zwar sieht es so aus, als habe der Täter seine
Tat bereits abgesessen und sei nun ein anderer Mensch, ich jedoch
bleibe dabei: fremd, nicht geheuer ist mir ein jeder, der nur ein
einziges Ziel vor Augen hat, zum Beispiel mein Sohn...
Sie hat ihm das eingeimpft. Dafür, Mutter, und
weil Du mich geboren hast, als das Schiff sank, hasse ich Dich. Auch
daß ich überlebte, ist mir in Schüben hassenswert
geblieben, denn wenn Du, Mutter, wie tausend andere, als es
»Rette sich, wer kann« hieß, hochschwanger über
Bord gegangen, trotz Rettungsgürtel überm Bauch im eisigen
Wasser erstarrt wärest oder Dich der Sog des über den Bug
sinkenden Schiffes samt meiner Ungeburt in die Tiefe gerissen
hätte...
Aber nein. Ich darf nicht, darf noch nicht zum
Knackpunkt meiner
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