Im Krebsgang
zufälligen Existenz kommen, denn noch standen
dem Schiff friedliche KdF-Reisen bevor. Zehnmal ging es um den
italienischen Stiefel herum, inklusive Sizilien, und zwar mit Landgang
in Neapel und Palermo, denn Italien war ja, weil vorbildlich
faschistisch organisiert, ein befreundetes Land; hier wie dort wurde
mit der erhobenen Rechten gegrüßt.
Nach nächtlicher Bahnfahrt wurden die stets
sorgfältig ausgewählten Passagiere in Genua eingeschifft. Und
nach der Rundreise ging's von Venedig aus mit der Bahn zurück.
Immer öfter waren hohe Tiere aus Partei und Wirtschaft dabei, was
die klassenlose Gesellschaft an Bord des KdF-Schiffes in Schieflage
brachte. Zum Beispiel kam während einer Rundreise der
berühmte Erfinder des Volkswagens, der anfangs KdF-Wagen
hieß, als geladener Gast an Bord; Professor Porsche zeigte sich
besonders an der hochmodernen Maschinenanlage des Schiffes interessiert.
Nachdem sie in Genua überwintert hatte, traf die Gustloff Mitte
März neununddreißig wieder in Hamburg ein. Als wenige Tage
später die Robert Ley in Dienst gestellt wurde, zählte die
KdF-Flotte dreizehn Schiffe, doch mit den Urlaubsreisen für
Arbeiter und Angestellte war es vorerst vorbei. Mit unbekanntem Ziel
und ohne Passagiere liefen sieben Schiffe der Flotte, unter ihnen die
Ley und die Gustloff, elbabwärts aus, und erst auf Höhe von
Brunsbüttelkoog gab eine bis dahin versiegelte Order das
Reiseziel, den spanischen Hafen Vigo, bekannt.
Zum ersten Mal sollten die Schiffe als Truppentransporter Platz bieten.
Da der Bürgerkrieg zu Ende war, General Franco und mit ihm die
Falange gesiegt hatten, durften die seit sechsunddreißig auf
Francos Seite kämpfenden deutschen Freiwilligen der »Legion
Condor« heimkehren.
Natürlich war der Truppenverband dieses Namens dem alles
wiederkäuenden Internet ein gefundenes Fressen. Allen voran
meldete »www.blutzeuge.de« den Rücktransport des
Luftwaffen-Flak-Regimentes 88. So heutig, als hätten sie erst
gestern die Roten besiegt, kehrten die Legionäre an Bord der
Gustloff heim. Mein Webmaster gab solo Bericht, der Chatroom blieb
geschlossen, ließ kein Duett zu, das - Wilhelm gegen David - die
Bombardierung der baskischen Stadt Guernica durch unsere Junkers- und
Heinkelflugzeuge zum Thema gehabt hätte, wenngleich Flugzeuge
dieses Typs, sei es beim Sturzflug, sei es beim Bombenabwurf,
fortlaufend die Website der Siegesfeier bebilderten.
Anfangs gab sich der Sprecher der Kameradschaft Schwerin distanziert
als Militärhistoriker und wies nach, daß der Spanische
Bürgerkrieg Gelegenheit geboten habe, neue Waffen auszuprobieren,
wie etwa vor wenigen Jahren der Golfkrieg den Amerikanern die Chance
bot, ihre neuen Raketensysteme zu erproben. Dann aber fiel ihm zur
»Legion Condor« nur noch Hymnisches ein. Offenbar hatte er
sich mit Hilfe von Heinz Schöns gründlich recherchiertem Buch
kundig gemacht, denn begeistert wie dieser gab er die Rückkehr des
Schiffes und den Empfang der Heimkehrer bekannt. Und ähnlich dem
Chronisten der Gustloff, den er online immer wieder zitierte, spielte
er die Rolle des Augenzeugen: »An Bord herrschte
Bombenstimmung...« und meldete »brausenden Beifall«,
als die Legionäre später von Generalfeldmarschall Göring
begrüßt wurden. Sogar den Preußischen Grenadiermarsch,
der beim Festmachen der Gustloff und der Ley an Hamburgs
Überseebrücke geschmettert wurde, hatte er mit allem
Tschingderassassa als Notenbild auf seine Website gestellt.
Während die Gustloff zum ersten Mal als Truppentransporter diente
und David bei verbessertem Gesundheitszustand sein drittes Haftjahr im
Sennhof-Gefängnis absaß, setzte Alexander Marinesko
unverdrossen seine Übungsfahrten in Küstengewässern
fort. Im Marinearchiv der baltischen Rotbannerflotte hat sich über
das Unterseeboot M 96 eine Akte gefunden, der zu entnehmen ist,
daß es dem Kommandanten gelungen war, derart seine Mannschaft auf
den fingierten Überwasserangriff zu drillen, daß sie
schließlich das Abtauchen in der Rekordzeit von 19,5 Sekunden
schaffte; der Durchschnittswert anderer Boote lag bei 28 Sekunden. M 96
war erprobt für den Ernstfall. Und auch auf der Website der
Schweriner Kameradschaft sah es so aus, als sei man mit der wiederholt
zitierten Liedzeile »Einst kommt der Tag der Rache...«
für etwas Unbestimmtes - den Tag der Rache? - zwar noch nicht
erprobt, doch immerhin bereit.
Dennoch konnte ich den Gedanken nicht abweisen, daß kein
Ewiggestriger, wie Mutter, olle Kamellen
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