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Im Krebsgang

Im Krebsgang

Titel: Im Krebsgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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breittrat, unentwegt die
braune Brühe aufrührte und den Triumph des
Tausendjährigen Reiches gleich einer Schallplatte mit Sprung
abfeierte, vielmehr ein junger Mann, womöglich ein Glatzkopf der
intelligenteren Sorte oder ein verbohrter Gymnasiast, sich samt seinen
Spitzfindigkeiten im Netz verbreitete. Aber ich ging meiner Ahnung
nicht nach, wollte nicht wahrhaben, daß mir gewisse
Formulierungen der digital verkündeten Botschaften, etwa die an
sich harmlose Wertung »Die Gustloff war ein schönes
Schiff«, auf penetrante Weise bekannt vorkamen. Das war zwar
nicht Mutters Originalton, aber...
Was blieb, war die tickende, wenn auch immer wieder verschüttete
Gewißheit: Es könnte, nein, es ist mein Sohn, der hier seit
Monaten... Das ist Konrad, der sich... Dahinter steckt Konny...
Lange kleidete ich meine Ahnung mit Fragesätzen: Das wird doch
nicht etwa dein eigen Fleisch und Blut sein? Ist es möglich,
daß sich jemand, der halbwegs linksliberal erzogen wurde, so weit
nach rechts hin verirren kann? Das müßte doch Gabi
aufgefallen sein - oder?
Dann jedoch erzählte mir der, so hoffte ich immer noch, unbekannte
Webmaster ein allzu vertrautes Märchen: »Es war einmal ein
kleiner Junge, der war taubstumm und ertrank beim Baden. Seine
Schwester jedoch, die ihn heißinnig liebte und die sich
später, viel später vor den Schrecken des Krieges auf ein
großes Schiff retten wollte, ertrank nicht, als das Schiff voller
Flüchtlinge von drei feindlichen Torpedos getroffen wurde und im
eiskalten Wasser versank...«
Mir wurde heiß: Das ist er! Mein Sohn, der hier auf seiner mit
lustigen Strichmännchen illustrierten Website aller Welt
Märchen erzählt. Dabei plaudert er Familiäres aus, wird
direkt, verzichtet auf Schlenker: »Konrads Schwester jedoch, die
nach dem Tod ihres lockenköpfigen Bruders drei Tage lang
geschrien, dann aber eine Woche lang geschwiegen hat, ist meine liebe
Großmutter, der ich im Namen der Kameradschaft Schwerin bei ihrem
weißen Haar geschworen habe, die Wahrheit, nichts als die
Wahrheit zu bezeugen: Es ist das Weltjudentum, das uns Deutsche
für alle Zeit und Ewigkeit an den Pranger ketten will...«
Undsoweiter undsoweiter. Ich telefonierte mit Mutter und bekam eine
Abfuhr: »Na sowas! Jahrelang haste diä nich um onser
Konradchen jekimmert, ond nu auf ainmal heerste die Flöhe husten
ond spielst ons den besorjten Papa vor...«
Auch mit Gabi telefonierte ich, fuhr schließlich übers
Wochenende nach Mölln, in dieses verschnarchte Nest, und brachte
sogar Blumen mit. Konny, hieß es, sei in Schwerin auf Besuch bei
der Großmutter. Als ich meiner Ehemaligen gegenüber mein
Sorgenpaket aufschnürte, hörte sie mir keine Minute zu:
»Ich verbiete dir, in meinem Haus derartige Reden zu führen
und meinen Sohn des Umgangs mit Rechtsradikalen zu bezichtigen...«
Ich war bemüht, ruhig zu bleiben, gab zu bedenken, daß es in
Mölln, diesem an sich idyllischen Städtchen, vor dreieinhalb
Jahren einen bösen Brandanschlag auf zwei von Türken bewohnte
Häuser gegeben habe. Alle Zeitungen seien damals verrückt
nach Sonderberichten gewesen. Auch meine Wenigkeit habe
Agenturmeldungen verzapft. Sogar das Ausland sei besorgt gewesen, weil
in Deutschland wieder... Immerhin habe es drei Tote gegeben. Zwar seien
einige Kids geschnappt und zwei Täter zu hohen Haftstrafen
verknackt worden, doch könne es sein, daß eine
Nachfolgeorganisation, ein paar von diesen durchgeknallten Skins, mit
unserem Konny Kontakt gesucht habe. Hier in Mölln oder
möglicherweise in Schwerin...
Sie lachte mir ins Gesicht: »Kannst du dir Konrad bei diesen
Brüllaffen vorstellen? Im Ernst! Ein Einzelgänger wie er in
einer Horde? Lachhaft ist das. Aber solche Verdächtigungen sind
durchaus typisch für jene Art von Journalismus, die du für
wen auch immer betrieben hast.«
Gabi ersparte mir nicht, mich, satt an Details, an meine bald
dreißig Jahre zurückliegende Tätigkeit bei der
Springer-Presse, an meine »paranoiden Hetzartikel gegen
Linke« zu erinnern: »Im übrigen, wenn irgend jemand
insgeheim rechts gewickelt ist, dann bist du das, immer noch...«
Jadochja! Ich kenne meine Abgründe. Weiß, wie
schweißtreibend es ist, sie abgedeckelt zu halten. Bleibe
bemüht, will wedernoch sein. Gebe mich in der Regel neutral. Denn
wenn ich einen Auftrag, gleich von wem, habe, stelle ich nur fest,
berichte nur, lasse aber nicht locker...
Deshalb, weil ich es wissen wollte - und zwar von Konny direkt -, habe
ich mich in der Nähe

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