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Im Krebsgang

Im Krebsgang

Titel: Im Krebsgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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dann auf das Mordopfer zu sprechen. Daß sich ihr »Konradchen« auf diese Weise - »über sein Computerding nämlich« - mit einem anderen Jungen, ohne ihn persönlich zu kennen, angefreundet habe, selbst wenn die beiden oft verschiedener Meinung gewesen seien, habe sie erfreut, weil ihr liebes Enkelkind sonst überall als Einzelgänger gelte. So sei er nun mal. Sogar das Verhältnis zu seiner kleinen Freundin aus Ratzeburg - »die hilft da bei einem Zahnarzt aus« -, müsse als ein eher lockeres angesehen werden - »da ist nie was passiert mit Sex und so weiter«, das wisse sie genau.
Soviel und noch mehr hat Mutter ziemlich korrekt als Zeugin der Verteidigung auf Hochdeutsch gesagt, wobei sie betont gewählt sprach. Konrads »sensibler Umgang mit Gewissensfragen«, seine »unbeugsame Wahrheitsliebe« und sein »unverbrüchlicher Stolz auf Deutschland« wurden vor Gericht gerühmt. Doch als ihr vom Jugendstaatsanwalt, kaum daß sie beteuert hatte, wie wenig es ihr ausmache, daß Konrads Computerfreund ein Judenjunge gewesen sei, versichert wurde, daß seit längerem bekannt und aktenkundig sei, daß des Ermordeten Eltern keineswegs jüdischer Herkunft seien, vielmehr komme der Vater Stremplin aus einem württembergischen Pfarrhaus, und dessen Frau stamme von einer seit Generationen im Badischen ansässigen Bauernfamilie ab, geriet Mutter sichtlich in Erregung. Sie fummelte am Fuchsfell, hatte für Sekunden ihren Binnichtzuhauseblick, gab dann ihre hochdeutschen Bemühungen auf und rief: »Na son Schwindel! Das hat main Konradchen nich wissen jekonnt, daß dieser David ain falscher Jud is. Ainer, der sich ond andere was vorjemacht hat, wenner sich bai jede Jelegenhait wien ächter Jud aufjefiehrt ond immer nur von onsre Schande jered hat...«
Als sie den Ermordeten als »jemainen Liegner« und »falschen Fuffzjer« beschimpfte, wurde ihr vom Vorsitzenden Richter das Wort entzogen. Natürlich zeigte sich Konny, der bis dahin Mutters füchsischen Beteuerungen fein lächelnd zugehört hatte, keineswegs erschrocken, womöglich enttäuscht, als der Jugendstaatsanwalt für Wolfgang Stremplin, der sich online David genannt hatte, einen, wie er sagte, »Nachweis arischer Herkunft« vorlegte und sich dabei ironisch gab. Den Kommentar zu dem, was er ohnehin wußte, lieferte mein Sohn aus ruhiger Gewißheit: »Das ändert nichts am Sachverhalt. Allein ich mußte entscheiden, ob die mir als David bekannte Person als Jude sprach und handelte.«
Als ihm vom Vorsitzenden Richter die Frage gestellt wurde, ob er jemals, sei es in Mölln, sei es in Schwerin, einem wirklichen Juden begegnet sei, antwortete er mit einem klaren Nein, fügte aber hinzu: »Für meinen Entschluß war das nicht relevant. Ich schoß aus Prinzip.«
Dann ging es um die Pistole, die mein Sohn nach der Tat vom hochgelegenen Südufer in den Schweriner See geworfen hatte und zu der Mutter nur kurz befand: »Wie hätte ich das Ding finden können, Herr Staatsanwalt? Mein Konradchen hat ja sein Zimmer immer selber saubergemacht. Darauf hat er großen Wert gelegt.«
Zur Tatwaffe befragt, sagte mein Sohn, ihm sei das Schießeisen - übrigens eine 7-mmTokarev aus sowjetischen Armeebeständen - schon vor eineinhalb Jahren zur Hand gewesen. Das habe so sein müssen, weil er von rechtsradikalen Jugendlichen aus dem mecklenburgischen Umland bedroht worden sei. Nein, Namen wolle und werde er keine nennen.
»Ehemalige Kameraden verrate ich nicht!« Der Anlaß für die Bedrohung sei ein Vortrag gewesen, den er zu jener Zeit auf Einladung einer national gesonnenen Kameradschaft gehalten habe. Dessen Thematik, »Das Schicksal des KdF-Schiffes Wilhelm Gustloff von der Kiellegung bis zum Untergang«, werde wohl für einige Zuhörer - »unter ihnen extrem dem Bierkonsum ergebene Dumpfköpfe« - zu anspruchsvoll gewesen sein. Besonders habe seine objektive Einschätzung der militärischen Leistung des sowjetischen U-Bootkommandanten, der das Schiff aus riskanter Position torpediert habe, die Glatzen erbost. Von etlichen Schlägertypen sei er später als »Russenfreund« beschimpft und auf offener Straße wiederholt bedroht und auch tätlich angegriffen worden. »Ab dann war für mich klar, daß man diesen Vulgärnazis nicht waffenlos begegnen darf. Mit Argumenten war denen nicht beizukommen.«
Jener soeben erwähnte Vortrag, der Anfang sechsundneunzig in einer Schweriner Gaststätte, dem Treffpunkt der besagten Kameradschaft, an einem Wochenende gehalten wurde, und zwei weitere

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