Im Krebsgang
»Ich habe geschossen, weil ich Deutscher bin« gestellt hat.
Auf dem Weg dorthin kamen ihm bereits ein Streifenwagen und ein Sanitätsauto, beide mit Blaulicht, entgegen. Doch Hilfe kam für David Stremplin zu spät.
8
Er, der vorgibt, mich zu kennen, behauptet, ich kenne mein eigen Fleisch und Blut nicht. Mag sein, daß mir der Zugang in seine innersten Peinkammern verschlossen geblieben ist. Oder bin ich nicht findig genug gewesen, meines Sohnes Geheimnisse aufzuschlüsseln? Erst als der Prozeß lief, kam ich Konny näher, zwar nicht auf Armeslänge, doch auf Hörweite, habe aber versäumt, vom Zeugenstand aus Rufe wie etwa diesen zu wagen: »Dein Vater steht zu dir!« - oder: »Halt bitte keine Vorträge, mein Sohn. Fasse dich kürzer!«
Wohl deshalb besteht jemand darauf, mich einen »verspäteten Vater« zu nennen. Alles, was ich von mir weg krebsend tue, ziemlich nahe der Wahrheit beichte oder wie unter Zwang preisgebe, geschieht nach seiner Wertung »nachträglich und aus schlechtem Gewissen«.
Und jetzt, da das »Zu spät!« meinen Bemühungen draufgepfropft ist, prüft er den Wust meiner Unterlagen, diesen Zettelkram, will wissen, was aus Mutters Fuchspelz wurde.
Dieser noch zu liefernde Nachtrag scheint ihm, dem Boß, besonders wichtig zu sein: Ich möge mein kleinteiliges Wissen nicht mehr zurückhalten, sondern der Reihe nach von Tullas Fuchs berichten, auch wenn mir dieses aus der Mode gekommene Kleidungsstück zutiefst verhaßt sei.
Stimmt. Mutter besaß einen von Anbeginn und trägt ihn immer noch. Ungefähr sechzehn war sie, als ihr, der Straßenbahnschaffnerin mit Käppi und Fahrscheinblock, die auf den Linien 5 und 2 Dienst schob, an der Haltestelle Hochstrieß von einem Obergefreiten, der zusätzlich als einer meiner möglichen Väter in Frage kommt, das heile und bereits vom Kürschner präparierte Fuchsfell geschenkt worden sein soll. »Der kam verwundet vonne Eismeerfront ond war nu in Oliva auf Jenesungsurlaub«, hieß und heißt die Kurzbeschreibung meines immerhin denkbaren Erzeugers, denn weder der ominöse Harry Liebenau noch sonst ein unreifer Luftwaffenhelfer hätte auf die Idee kommen können, Mutter einen Fuchs zu schenken.
Und mit diesem wärmenden Fell um den Hals ist sie, als die Pokriefkes eingeschifft wurden, an Bord der Gustloff gegangen. Kurz nachdem das Schiff ablegte und sich die Schwangere, gestützt auf einen blutjungen Marinerekruten, Schritt nach Schritt aufs vereiste Sonnendeck wagte, trug sie den Pelz. Griffbereit lag das Fuchsfell neben der Schwimmweste, als sie in der Station für Wöchnerinnen und Schwangere lag und ihr Doktor Richter, gleich nach dem dritten Torpedotreffer und den ersten Wehen, eine Spritze verpaßte. Und mit sonst nichts - der Rucksack blieb zurück -, nur mit der umgeschnallten Schwimmweste und dem Fuchs um den Hals, ist Mutter, bevor sie es wurde, ins Rettungsboot gestiegen und will noch vor der Schwimmweste nach dem Fell gegriffen haben.
So, ohne Schuhe an den Füßen, doch gewärmt vom Pelz, kam sie an Bord des Torpedobootes Löwe. Und nur während der bald darauf beginnenden Geburt, also um jene Minute, als die Gustloff mit dem Bug zuerst und nach Backbord kenternd versank, worauf sich der Schrei der Zigtausend mit meinem ersten Schrei mischte, lag das Fell gerollt abermals neben ihr. Doch als sie, mittlerweile auf einen Schlag weißhaarig geworden, in Kolberg das Torpedoboot verließ, lief die Mutter mit Säugling zwar auf Strümpfen, trug aber den Fuchs, den kein Schock gebleicht hatte, um den Hals gewürgt.
Sie behauptet, während der andauernden Flucht vor den Russen habe sie mich der Eiseskälte wegen in das Fell gewickelt. Ohne Fuchs wäre ich bestimmt im Flüchtlingsstau vor der Oderbrücke erfroren. Dem Fuchs alleine - und nicht den Weibern mit überschüssiger Milch - verdanke ich mein Leben. »Ohne den wärste ain Eisklumpen jewesen...« Und der Obergefreite, der ihr den Pelz - angeblich das Werk eines Kürschners aus Warschau - verehrt hatte, soll zum Abschied gesagt haben: »Wer weiß, Mädchen, wozu der mal gut sein wird.«
In Friedenszeiten jedoch, als wir nicht mehr frieren mußten, gehörte das fuchsrote Fell nur ihr, lag im Schrank in einem Schuhkarton. Bei passenden und unpassenden Gelegenheiten hat sie es getragen. Zum Beispiel, als sie ihren Meisterbrief bekam, dann bei den Auszeichnungen als »verdiente Aktivistin«, sogar bei Betriebsfesten, wenn ein »bunter Abend« auf dem Programm stand. Und als ich vom Arbeiter- und
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