Im Kreis der Sünder - Kriminalroman aus dem Ruhrgebiet
insgeheim, aber wenn man so aussah wie diese Schwester mit den großen mandelförmigen, braunen Augen, dann hatte man das wahrlich verdient.
Ludmilla strich die schulterlangen, schwarzen Haare nach hinten. »Was also wollen Sie von mir wissen?«, fragte sie mit origineller Betonung.
»Es geht um den Abend des siebzehnten Mai, um die Nacht vom letzten Dienstag auf den Mittwoch. Soweit ich bereits unterrichtet bin, hatten Sie an dem fraglichen Datum Nachtdienst.«
»Ja, das ist richtig. Mein Dienst hat an diesem Tag um zweiundzwanzig Uhr begonnen.«
In Gedanken versunken hörte Barnowski nur mit halbem Ohr zu. Gerade stellte er sich vor, von Schwester Ludmilla an allen Körperstellen gewaschen zu werden. Nur krank dürfte man in so einem Moment wirklich nicht sein.
»Also wie üblich um zweiundzwanzig Uhr«, ließ er sich die Zeit lieber noch einmal bestätigen und rief sich zur Räson. »Haben Sie nach Antritt Ihres Dienstes Doktor Liebermann gesehen?«
Unwillkürlich schlug Ludmilla die Augen nieder. »Wie? Wie meinen Sie das?«, fragte sie sichtlich irritiert. Entweder hat die ein Verhältnis mit dem, was ich von seiner Seite durchaus verstehen könnte, überlegte Barnowski, oder der Typ hat sie unter Druck gesetzt.
»Doktor Liebermann hat ausgesagt, er sei an dem fraglichen Abend lange in seinem Büro gewesen. Können Sie das bestätigen?«
Ludmillas Miene wirkte mit einem Mal sehr unglücklich und weckte in Barnowski automatisch den Beschützerinstinkt.
»Sie können mir wirklich alles anvertrauen«, sagte er mit so viel Verständnis wie möglich in der säuselnden Stimme. »Wenn sich das irgendwie einrichten lässt, bleibt die Sache unter uns. Wichtig ist nur, dass Sie die Wahrheit sagen, besonders, wenn Sie noch nicht deutsche Staatsbürgerin sind.«
»Ich möchte meine Stelle nicht verlieren«, erklärte sie, nachdem sie eine Weile trübsinnig vor sich hingestarrt hatte.
»Heißt das, sofern Sie mir die Wahrheit sagen, glauben Sie, sä he es schlecht für Sie aus?«
»Bitte versprechen Sie mir, dass Sie mich nicht verraten.«
Barnowski nickte. Was sollte er angesichts der vielen rollenden R’s auch anderes tun.
»Leider habe ich Doktor Liebermann an diesem Tag nicht gesehen. Vielleicht irrt er sich, und es war einfach der folgende Tag.«
»Aber Sie sind sich darin ganz sicher?«, fragte Barnowski besorgt.
» Hundertprozentig«, erwiderte Ludmilla mit einem Augenaufschlag, der Barnowskis Fantasie anregte. »Schwester Ilona hatte an diesem Tag Geburtstag. Bevor sie mich abgelöst hat, haben wir darauf angestoßen. Mit Sekt, obwohl das streng verboten ist. Mit Sekt und Orangensaft. Vor Aufregung habe ich etwas auf meinen Kittel geschüttet. Vielleicht war der hässliche Fleck die richtige Strafe.«
»Nun ja, so etwas Schlimmes haben Sie ja nun auch nicht angestellt«, versicherte Barnowski.
»Natürlich wollte ich mich umziehen, bevor jemand den Fleck sieht, aber dazu bin ich die ganze Nacht nicht gekommen. Ausgerechnet in dieser Nacht hatte ich pausenlos zu tun.«
»Und sind dabei Doktor Liebermann nicht in die Arme gelaufen?«, fragte Barnowski zur Sicherheit noch einmal nach.
»Zum Glück bin ich ihm nicht begegnet«, erwiderte Ludmilla schnell. »Mit dem beschmutzten Kittel hätte ich mich unendlich geschämt.«
Also Tee hat sie dem erst recht nicht gekocht, dachte Barnowski, obwohl er sich erinnerte, dass Liebermann davon gesprochen hatte. »Und warum fürchten Sie nun um Ihre Arbeitsstelle?«, fragte er laut. »Doch wohl nicht wegen des Schlückchens Sekt?«
»Bitte verraten Sie mich nicht«, wiederholte sie statt einer Antwort. »Doktor Liebermann ist ein mächtiger Mann im Klinikum.«
»Hat er Sie etwa gebeten auszusagen, Sie hätten ihn gesehen?«
Ludmilla seufzte, dann nickte sie.
Dieses miese Schwein, dachte Barnowski.
»Wenn es irgendwie möglich ist, wird er von Ihrer Aussage nichts erfahren. Sollte diese für eine Gerichtsverhandlung unbe dingt nötig sein, werde ich Ihnen persönlich helfen, damit Sie Ihren Job nicht verlieren. Im Fall einer Verurteilung wäre der Liebermann sowieso nicht länger Chef. Also, Sie kommen aus der Sache so oder so mit heiler Haut heraus. Dafür verbürge ich mich.«
Ludmilla lächelte schüchtern. Schade, dass die Vernehmung zu Ende geht, dachte Barnowski. Ein Bedauern, das großen Seltenheitswert hatte.
Erst nachdem sie ihn mit einem strahlenden Augenaufschlag verabschiedet hatte, fiel ihm auf, dass sie ihm nicht einmal etwas angeboten
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