Im Kreis des Wolfs
Armbeuge, winkelte ein Bein an und schlief weiter. Er zog den Schlafsack über ihre Schulter und legte die Arme um sie, hielt sie fest an sich gedrückt und atmete ihren wunderbaren Geruch ein.
Er entsann sich des Tages im Herbst, als er ihr die Wolfshöhle gezeigt und sie ihn dazu gebracht hatte, in das Loch zu kriechen. Er erinnerte sich, wie er da unten in völliger Dunkelheit gelegen und gedacht hatte, dies sei der ideale Ort zum Sterben.
Und nun wusste er, dass er sich geirrt hatte. Dies hier, jetzt, in dieser ebenso schwarzen Dunkelheit, doch mit einem lebenden Wesen in den Armen – dies war der ideale Ort.
30
Der Prozess gegen Abraham Edgar Harding fand Ende Februar statt, und der dritte und letzte Tag der Verhandlung ging seinem traurigen, doch vorhersehbaren Ende entgegen. Für Schnee war es zu warm und für Regen zu kalt, und gleichsam als Kompromiss hagelte es unbarmherzig auf das kümmerliche Grüppchen von Harding-Demonstranten herab, das im bleiernen Licht vor Helenas Bezirksgerichtsgebäude auf und ab marschierte.
Dan stand in der tropischen Wärme im Innern und schaute durch ein Flurfenster auf die Straße, während er auf Helen wartete. Die Geschworenen hatten sich schon vor einer halben Stunde zurückgezogen, und er fragte sich, was um alles in der Welt sie so lange machten.
Draußen waren nur noch acht Demonstranten übrig. Während er sie zählte, löste sich ein weiterer aus der Gruppe und strebte seinem Wagen zu. Durch seine Kapitulationangespornt, schrie der Rest noch lauter als zuvor, doch hier drinnen klangen ihre Parolen lediglich wie das Summen einer Biene unter einer Glasglocke.
Was wollen wir?
Keine Wölfe!
Wie wollen wir sie?
Tot!
Am ersten Vormittag waren es noch fünfzig oder sechzig Demonstranten gewesen, umringt von fast ebenso vielen Polizisten, die sie in sicherer Entfernung von einer gleichermaßen wortgewaltigen Gruppe von Pro-Wolf-Demonstranten hielten. Zur großen Zufriedenheit der anwesenden Fotografen, Journalisten und Fernsehreporter beschimpften sie sich gegenseitig, skandierten Slogans und reckten Plakate mit Sprüchen von recht unterschiedlichem Niveau in die Höhe.
Einige der Sprüche wiesen eine gewisse Symmetrie auf: »Wölfe – nein!« wurde fröhlich auf der anderen Seite mit »Wölfe – ja!« gekontert. Andere waren düsterer, wie etwa der Spruch von einem griesgrämig dreinschauenden, bärtigen jungen Mann, den Dan vom Abend der Versammlung wiederzuerkennen glaubte. Er trug eine Jagdmütze, eine Tarnanzugjacke und Springerstiefel. Auf seinem Plakat stand: »Erst Waco, jetzt die Wölfe«.
Abe war an jenem Morgen wie ein Triumphator in die Stadt eingezogen. Immer noch heroisch ohne Anwalt, war er von Buck Calder – dem Kronzeugen der Verteidigung – zum Gericht chauffiert und sicherlich auch den ganzen Weg über eifrig bearbeitet worden. Abe stand auf den Stufen zum Gerichtsgebäude, flankiert von seinen beiden grinsenden Söhnen, und antwortete mit grimmiger Miene undtabakgelben Zähnen auf alle Fragen, dass er Amerikaner sei – was niemand bezweifelte. Er habe sich hier eingefunden, um sich für seine »unveräußerlichen Rechte« auf Leben, Freiheit und die Wolfsjagd einzusetzen.
Möglicherweise wollte der Bundesrichter Willis Watkins andeuten, dass das zweite dieser Rechte sich unter Umständen durchaus als »veräußerlich« erweisen könnte, als er ihm riet, seine Behauptung, er sei nicht schuldig, sowie seine Entscheidung, sich keinen Anwalt zu nehmen, noch einmal zu überdenken. Doch davon wollte Abe nichts wissen. Es gehe hier ums Prinzip, beharrte er. Folglich mussten zwölf geduldige Bürger aus Montana drei Tage Langeweile und Zeugenaussagen ertragen, um schließlich zu einer Entscheidung zu gelangen, von der nur noch die hartnäckigsten Abe-Fans glaubten, dass sie nicht längst schon feststand.
Dan und Helen hatten am Morgen des vorangegangenen Tages ihre Aussagen gemacht und wurden dann von Abe ins Kreuzverhör genommen, das äußerst absurd verlief. Mit Dan hielt er sich nicht allzu lang auf, blätterte in einem dicken Stapel Notizen und machte zwischen seinen Fragen derart lange Pausen, dass Willis Watkins zweimal von ihm wissen wollte, ob er jetzt fertig sei. Als Erstes fragte er Helen, ob sie im Vietnamkrieg gekämpft habe. Als sie ihn darauf hinwies, dass sie erst geboren worden sei, als der Krieg bereits zu Ende ging, stieß er ein lautes, triumphierendes Aha! aus, als habe er damit einen entscheidenden Beweis
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